Vorwort
MS Buxfavorite
Peru
Bolivien
Argentinien/Chile
Unter Kreuzfahrern
Südostasien
China
Heimwärts
Reminiszenzen
Almaty - Istanbul
  Namibia
Baikal - Amur
Nochmal
Dar  -   Kapstadt
 


mit dem Frachtschiff von Belgien nach Peru

Die Buxfavorite ist ein mittelgroßes Containerschiff, das einen regelmäßigen Linienfrachtdienst zwischen Hamburg und Callao, dem Hafen von Lima in Peru anbietet. Der für mich etwas kuriose Name leitet sich von Buxtehude ab, da dort die Reederei ihren Sitz hat. Alle Schiffe, die sie betreibt, haben entsprechend die Silbe Bux.... im Schiffsnamen. Dabei war immer sehr umstritten, jeder hat es am Telefon anders gemacht, ob der Name deutsch oder amerikanisch ausgesprochen wird.


   
Es ist ein deutsches Schiff, man sieht es an der Flagge, aber was heißt das eigentlich?  Die Regel ist, auf einem deutschen Schiff muss der Kapitän ein Deutscher sein und 25% der Mannschaft. Nun, der deutsche Kapitän kam erst in Cartagena, Kolumbien an Bord. Bis dahin hatte ein 32 Jahre junger Mann gebürtig in Südafrika das Sagen. Dann waren noch der 1. und 2. Ingenieur, der 4. Offizier, ein Schiffsmechaniker und zwei "Lehrlinge zur See" deutsch, die 25% waren also knapp erfüllt. Es gab einen 3. Ingenieur aus der Ukraine. Der Arbeitsplatz der Ingenieure ist kurz vor der Hölle die Schiffsmaschine.  Alle anderen Mitglieder der Besatzung, der 1., 2. und 3. Offizier, der Koch , der Steward, der Elektriker und die gesamte Decksmannschaft kommen aus den Philippinen. Ich habe auf meiner  Reise dieses Land kennengelernt ohne dort gewesen zu sein. Auch auf meinem zweiten Kreuzfahrtschiff war ein Großteil der Besatzung von dort. Etwa eine Million Philippinos fahren zur See weil die Beschäftigungssituation und die Einkommen in diesem Land ziemlich trostlos sind.

Die Umstände der Abfahrt waren noch kurioser als der Name des Schiffes. Vom Reisebüro Pfeiffer in Wuppertal, einem der wenigen Vermittler von Frachtschiffreisen in Deutschland, wurde ich von vorneherein daraufhingewiesen, dass man bei einer Passage mit einem Frachtschiff sehr flexibel sein müsse. Eine Frachtschiffreise scheidet so für Leute mit knappen Urlaubszeiten, die an enge Termine gebunden sind, als Reiseform in der Regel aus. Aber ich hatte ja ein ganzes Jahr Zeit.

Das Schiff legt auf seiner regulären Route üblicherweise von Hamburg kommend in Rotterdam, Tilbury(London), Antwerpen und Le Havre an. Da mir fünf Tage Liegezeiten in europäischen Häfen nicht sehr reizvoll erschienen, buchte ich ab Le Havre als letztem europäischen Hafen. Ich sollte ursprünglich am am 19. September 2007 fahren. Dabei war die die Buxfavorite nach langem Suchen die einzige Möglichkeit im Zeitraum Ende September, Anfang Oktober  durch den Panama-Kanal an die Westküste von Südamerika zu gelangen. Die Länder entlang der Route sind nicht eben reich, das Transportvolumen ist überschaubar. Die reguläre Route führt in Südamerika zuerst nach Trinidad-Tobago, weiter nach Curacao, Puerto Cabello (Venezuela), Cartagena (Kolumbien), Manzanillo am Karibik-Ausgang des Panama-Kanals, durch den Kanal selbst nach Guayaquil (Ecuador) und endet in Callao (Peru). Reguläre Fahrtzeit: 24 Tage.

Anfang Juli kam ein Anruf, ich solle mich doch auf einen Abfahrtstermin Anfang September, vielleicht am 5. einrichten. Kein Problem, sagte ich. Ende August hieß es dann, dass Schiff sei auf dem Rückweg, müsse aber wegen eines Schadens nach Bremerhaven in die Werft für eine Woche, also der alte Abfahrtstermin. Es hatte einen Schaden an der Welle zur Schiffsschraube gegeben. Außerdem war ein Bordkran kaputt und ohne die Kräne können bestimmte Häfen nicht angelaufen werden. Es wurden dann zwei Wochen in der Werft, der Fahrplan war durcheinander.

Endlich los fuhr ich dann am 25. September. Dabei war bis zwei Tage vor Abfahrt nicht klar, von welchem Hafen ich überhaupt abfahren sollte. La Havre war aus Zeitgründen gestrichen, die anderen Häfen unklar. Rotterdam meinte das Reisebüro zuerst, dann wohl eher Antwerpen. Erst ein Gespräch über das Handy mit dem Kapitän brachte Klarheit, auf jeden Fall Antwerpen, ich sollte mal so gegen Dienstagabend da sein. Seit zwei Wochen saß ich unruhig auf meinem gepackten Rucksack und spielte schon mit dem Gedanken, mal einen Flug nach Lima zu suchen. Von wegen Nullflugzeug-Weltreise. Wohin ich genau im Hafen von Antwerpen fahren sollte, könne er mir erst am Dienstag sagen, dass wisse er auch erst kurz vor dem Einlaufen. Also fuhr ich am Dienstag mit dem Zug nach Antwerpen.

Der Kapitän rief mich dann im fahrenden Zug, ich solle zum De.... Dock Nr ......fahren. Ich verstand den Namen nicht, der Zug hielt gerade mit quitschenden Bremsen und hektischen Leuten. Vom Bahnhof aus rief ich zurück, hatte dann einen philippinischen Offizier am Ohr, der buchstabierte dann  "De Leide Dock" samt Nummer, aber ich solle nicht zu früh kommen, nicht vor 20 Uhr, sie seien noch draußen auf der Nordsee und hätten Verspätung. Um 21 Uhr fuhr mich dann ein Taxi zum angegebenen Dock etwa 20 Kilometer vom Bahnhof entfernt. Die Fahrt war etwa halb so teuer wie die Zugfahrkarte von Berlin nach Antwerpen.

Häfen sind heutzutage (meist) gesichert  wie Hochsicherheitsgefängnisse. Der Sicherheitschef am Gate sagte mir, dass Schiff sei noch nicht da, ich könne noch nicht durch die Sicherheitsschleuse. Um 22 Uhr 30 schließlich kletterte ich über eine wackelige Gangway an Bord. Ich hatte, freundlich begrüßt vom 4. Offizier und dem Mechaniker, mein zu Hause für die nächsten drei Wochen erreicht.

Meine gebuchte Einzelkabine auf dem 6. Deck, das zweite unterhalb der Brücke, entpuppte sich als luxuriöse Suite mit Sofaecke, Schreibtisch mit schwerem Drehstuhl, Fernseher plus DVD Recorder, Kühlschrank, großem Schlafzimmer und geräumigem Bad. Ausblick nach vorne statt zur Seite. Großartig, was für ein Luxus. Aber zunächst, nachdem ich todmüde 4 Stunden geschlafen hatte, begann gegen 3 Uhr morgens mit grellem Scheinwerferlicht die Beladung mit Containern, sehr imposant, drei Containerbrücken arbeiteten gleichzeitig. Schon um zehn Uhr morgens waren sie fertig, aber das Schiff fuhr nicht.

Ich traf bei meinem ersten Rundgang auf der Suche nach "was zum Essen" einen dynamischen jungen Mann mit schwarzen Haaren, dass war der Kapitän. Er sagte auf meine naive Frage hin, wann es denn losgehe, er müsse noch auf "Bunker" warten, gemeint war Treibstoff, der Atlantik ist schließlich verdammt groß. Aber essen würde ich in der Offiziersmesse zu festen Zeiten, Frühstück 7 bis 8, Mittag 12 bis 13, Kaffee um 3 (Donnerstags und Sonntags mit Kuchen), Abendbrot von 17 bis 18 Uhr. Überhaupt sei Essen die einzige Abwechslung an Bord. Nachdem ich dann zwei üppige Mahlzeiten (Fleisch satt, Gemüse eher knapp) vertilgt hatte, dass Schiff endlich gegen 18 Uhr durch ein kleineres Tankschiff aufgetankt war, ging es los.

Nachts, die erste Nacht auf See, wache ich auf. Ich "rolle" in meinem Doppelbett von vorne nach hinten, von links nach rechts. Später erfahre ich, bei der Ausschiffung des Lotsen vor der Scheldemündung habe das Schiff stark "gerollt" ganz ohne Sturm, ein Containerschiff ist eben kein Fährschiff oder Kreuzfahrtschiff mit starken Stabilisatoren.

Der erste Tag auf  See wird wunderschön, wir fahren durch den Ärmelkanal bei bestem Wetter, die englische Küste bei Falmouth ist zu sehen. Ein Schiff nach dem anderen kommt entgegen, eine Schiffsautobahn. Ein Sonnendeck gibt es nicht, aber auf  zwei Bänkchen neben der Außentreppe kann man Seeluft und Sonne geniesen. Ich werde vorgewarnt, wir müssten demnächst durch ein Tief fahren, es zu umgehen würde zuviel Zeit kosten, ich kann mir alles auf den Radarschirmen der Brücke anschauen, der Zugang ist für mich jederzeit möglich, außer beim Ein- und Auslaufen.



In der dritten Nacht auf See ist er dann da, der Sturm, Windstärke 10 bis 11, ein Orkantief also. Das Schiff ist nicht vollbeladen, ich kann vom 6. Deck zwar nicht den Bug sehen, aber ich klebe an den Fenstern und sehe auch im Dunkeln die Gischt über die Container an sie ran klatschen. An Schlaf ist nicht zu denken, das "Rollen" in der ersten Nacht war nichts dagegen. Am nächsten Tag kommt die Sonne raus, aber das Meer ist nach wie vor aufgewühlt. Der Kapitän hat Decksverbot angeordnet, für die Mannschaft eine hochwillkommene Pause, die üblichen Entrostungs- und Streicharbeiten fallen aus. Am Abend fahren wir an der Azoreninsel San Miguel vorbei, der Sturm flaut ab. Es sollte der einzige auf der langen Reise bleiben.  

Hinter den Azoren wird der Atlantik glatt wie ein Babypopo, gleichwohl sorgt die immer vorhandene Dünung dafür, dass das Schiff rollt. Man gewöhnt sich daran genauso wie an das Stampfen der Maschine. Die Buxfavorite fährt fünf Tage von den Azoren bis nach Trinidad-Tobago auf einer Route die kaum ein anderes Schiff benutzt. Der Horizont bleibt leer, die Sonne brennt, ein paar Mal regnet es. Ein vom Kapitän dramatisch angekündigter Hurrican vor der südamerikanischen Küste hatte sich in Luft aufgelöst. Beste Voraussetzungen für richtig viel Langeweile also.

Weit gefehlt! Lesestoff gibt es reichlich, auch gute Romane wie "Hundert Jahre Einsamkeit" von Marquez, eine bessere literarische Vorbereitung auf Südamerika gibt es kaum. In der DVD-Wühlkiste gibt es alle Folgen von "Neues aus der Anstalt", ich  stehe auf die Sendung. Das wichtigste Mittel gegen das Aufkommen von Langeweile aber sind die Gespräche mit der Mannschaft. Meist bleibt nach dem Essen einer sitzen. Der Kapitän erklärt mir ausführlich die Absurditäten des globalen Seehandels. Er weiß z.B. nur, dass er zunächst Port of Spain auf Trinidad anlaufen muss, welcher Hafen dann mit welchen Liegezeiten folgt, erfährt er erst dort. Der Charterer des Schiffes sitzt in Chile, welche Container geladen werden, wird durch intensiven e-mail Austausch kurz vor oder während der Liegezeit mit dem örtlichen Hafenagenten entschieden. Die Mannschaft weiß daher nie, ob sie nach Arbeitsschluss an Land gehen kann oder nicht. Viele sind schon dreimal in einem Hafen gewesen und kennen ihn nicht.

Er redet auch viel über seine Heimat Kapstadt und versteht nicht, warum dort so viele Touristen hinfahren. Es sei alles fürchterlich dort, er fährt wirklich nur noch hin um seine Eltern zu besuchen. Er spricht auch die deutsche Offiziersausbildung an, viel zu theoretisch, die hätten keine Ahnung wenn sie an Bord kämen, "kannste nicht alleine auf die Brücke lassen". Der 4. Offizier, vorgeschrieben sind drei, beklagt sich darüber, dass er auf der Brücke nichts alleine machen dürfe, man behandele ihn wie ein Schüler. Es ist seine erste Reise auf dem Schiff und die erste, die über Europa hinausgeht.

Auffällig ist, alle reden gerne mit mir, hören genau zu, wenn ich was über mein Projekt einer "Nullflugzeug Weltreise" erzähle, finden das interessant.  Der ukrainische Ingenieur kann überhaupt nicht verstehen, warum jemand freiwillig in Länder der Dritten Welt fährt, "diese Armut dort", alles viel zu gefährlich. Aber auffällig ist auch, alle reden mit mir gerne alleine, kommt ein anderer herein, wird das Thema gewechselt oder der Dienst ruft.

Zum Beispiel sind alle Offiziere und Ingenieure unzufrieden mit dem Steward. Er bedient während der Mahlzeiten in der Offiziersmesse und soll ihre Unterkünfte, auch meine, in Ordnung halten. Er heißt Paul, kommt aus den Philippinen, es ist seine erste Reise auf diesem Schiff. Mal hat er für den Kapitän kein Bier kaltgestellt, mal die Bettwäsche zu spät gewechselt, dann ist die Suppe zu Mittag kalt. Nur ich habe nichts zu meckern und sage das auch deutlich. Paul ist frustiert, er ist auch innerhalb der philippinischen Mannschaft isoliert, dass sind halt eher rauhbeinige Gesellen, die wenn möglich im Hafen umgehend das nächste Bordell ansteuern. Auch die philippinischen Offiziere meckern mit ihm, der Koch hält ihn für eine Mimose. Aber ich höre ihm natürlich zu. Er erzählt mir wie einsam er ist und wie gerne er studieren würde, Touristik am liebsten. Aber er muss für die Familie arbeiten, seine Mutter hat ein Reisfeld und er ist das älteste von fünf Geschwistern, "so I have to sacrifice".

Besonders hart geht mit ihm der "Chief" ins Gericht, der erste Ingenieur und zweiter Mann in der Hierarchie. Ich wußte gar nicht, dass auch moderne Frachtschiffe einen "Häuptling" haben. Er hat erhebliches Übergewicht, raucht wie ein Schlot und guckt sich in seiner Freizeit am liebsten Aktion-DVDs liegend vor dem Fernseher an. Mit ihm habe ich nicht geredet, er hatte kein Interesse, nun gut. Aber er war der einzige, der dem Steward offen drohte, als die Suppe mal wieder kalt war, er werde dafür sorgen, dass sein Kontrakt nicht verlängert würde. Wenn er an mir vorbei ging, ging mir spontan der Gedanke durch den Kopf, was denn wäre, wenn jemand auf hoher See einen Herzinfarkt bekommt. Die Offiziere haben zwar eine gute Sanitätsausbildung, aber ein Arzt ist nicht an Bord und Krankenhäuser gibt es nur im Hafen.

Der Umgang der philippinischen Offiziere mit dem deutschen Teil der Schiffsführung war für mich eher unterkühlt geschäftsmäßig. Man redet sich mit dem Dienstgrad an, aber das ist auf allen Schiffen so. Irgendwann gab es dann doch (fast) Krach. Der "Chief" pflegte den Weg zwischen seiner Kabine auf dem 7. Deck und der Offiziersmesse über die Außentreppe zurückzulegen, gut so. Aber die Außentüre neben der Messe sprang öfters auf, weil das Schloss defekt war. Dann wurde sie manchmal zugesperrt. Er musste dann einen Stock zurückgehen und innen wieder runterlaufen. Eines Tages kam er empört herein, "who the fuck closed the door?" Er hängte einen Zettel aus.

Nun wurde ihm von einigen Philippinos mir gegenüber vorgeworfen, dass diese Äußerung diskriminierend sei. Ich fand das auch und forderte sie auf, doch mit dem Kapitän darüber zu reden. Am Abend war der Zettel verschwunden, über eine Reaktion habe ich nichts mehr gehört.



Den ersten Anblick von Amerika, die Vorbeifahrt an Barbados, habe ich verschlafen, den Anblick von Tobago als nächstem Land in Sicht nicht. Es ist ein völlig anderes Gefühl, sich einem anderen Kontinent auf dem Wasser zu nähern als wenn man festgeschnallt dort in einem Flieger landet. Man sucht mit dem Fernglas das Ufer ab, versucht irgendetwas interessantes entdecken und kann sich so allmählich dem Neuen und Unbekannten annähern. Das Schiff legte am späten Abend in Port of Spain, der Hauptstadt des Kleinstaates Trinidad-Tobago an. Zu sehen war zunächst wenig. Erst beim Wegfahren, 36 Stunden später konnte ich sehen, wie anders doch das Umfeld dieses Hafens war verglichen mit einem europäischen. Vor allem die vielen Schiffswracks entlang der Fahrrinne fallen auf, um die sich niemand kümmert und die außerdem schlecht markiert sind. Hier ist es billiger einen alten Kahn absaufen zu lassen, als ihn abzuwracken.

Zum Landgang kriege ich einen "shore pass" ausgestellt mit Foto, der Reisepass bleibt beim Kapitän. Mit ihm soll ich die Hafenkontrolle problemlos überwinden können, aber von einer richtigen Kontrolle kann in Port of Spain keine Rede sein. Deren Innenstadt konnte man vom Liegeplatz locker in einer halben Stunde erreichen. Die Ladearbeiter warnen uns, geht auf keinen Fall nachts in die Stadt, "a lot of violence". Wir stiefeln zu dritt los am Vormittag, wir sind die einzigen Weißen weit und breit. Trinidad-Tobago ist ein sehr schwarzer Staat, eine ehemalige britische Kolonie, in der man bis heute Englisch spricht.  Das kleine Land liegt direkt vor der Orinoco-Mündung, weit weg sieht man schwach die dortigen Ölbohrtürme. Es ist Samstagvormittag, Einkaufszeit, Märkte und Straßen sind voller Menschen. Am beeindruckensten ist ein Verkehrspolizist auf einer Kreuzung, er regelt den Verkehr mit kugelsicherer Weste und vorgeschnallter Maschinenpistole. Es ist schwül und ein massiver Tropenregen beendet unseren Rundgang. Jetzt wird uns der Sinn der sehr hohen Bordsteine klar, oben bleibt man trockenen Fußes, unten verwandelt sich sich die Straße in einen schnellfließenden Kanal. Das Wasser reicht den Autos bis zur Wagentüre, der Unrat der Straße wird gleich mit fortgespült.

Abends, das Wetter ist wieder toll, geht fast die gesamte Mannschaft in die Stadt. Dort tobt eine Art Wahlkampf . Die Stadt ist voll mit einheitlich gekleideten, lautstarken Anhängern einer mir nicht bekannten Partei. Die Philippinos erobern die Internet-Cafes. Es wird lange und ausführlich mit der Heimat, Frau und Kindern, gechattet, "look here, my house, my son, you wanna talk to my wife, she is from Chile". Die hartnäckigsten Puffgänger sind frustiert, kein Taxifahrer kennt ihren "Geheimtip" Caribean Bar. Dafür schmeckt das Bier gut (Carib). Die Warnungen der Ladearbeiter bewahrheiten sich nicht. Sonntags gehe ich noch mal alleine los, die Stadt wirkt wie ausgestorben, nur in den Kirchen ist Hochbetrieb. Die Sonntagskostümierung der Ladies ist befremdlich und faszinierend, extrem kitschig. Ich bin um 15 Uhr zurück, laut Kapitän hätte ich bis 17 Uhr wegbleiben können, aber hinter mir wird die Gangway hochgezogen, eine Stunde später sind wir auf dem Weg nach Curacao.

Der Kapitän hat jetzt endlich den weiteren Reiseverlauf mitgeteilt bekommen. Zwei Häfen fallen weg, Puerto Cabello und Guayaquil, er soll Tempo machen. Nach ca. 24 Fahrt kommt Curacao in Sicht, den kleinen Antilleninseln zugehörig, ebenfalls vor der Küste von Venezuela in Höhe des Maracaibo-Sees gelegen. Auch hier ist die Einwohnerschaft überwiegend schwarz, aber der Unterschied zu Trinidad könnte größer nicht sein. Hauptstadt und Hafen ist Willemstad. Hinter Willemstad liegt einer der besten Naturhäfen in der Karibik zu erreichen durch eine sehr schmale Einfahrt mitten durch das Städtchen. Nur ein Schiff passt durch.


                                                                           
Willemstad, das ist Holland in der Karibik. Curacao war schließlich holländische Kolonie. Wäre es nicht so heiß, es könnte auch ein Städtchen an Nordseeküste sein, alles ist herausgeputzt links und rechts der Einfahrt. Eine Ponton-Schwimmbrücke verbindet beide Teile, sobald ein Schiff durch will, drückt ein lauter Motor sie zur Seite. Zwischendurch versehen dann alterschwache Personenfähren ihren Dienst.

Um 20 Uhr gehe ich von Bord, 12 Stunden Liegezeit sind vorgesehen, der Liegeplatz ist ca. 10 km von der Stadt entfernt. Ich fahre natürlich nach Willemstad, der Taxifahrer erklärt mir einiges über die Insel. Sie ist politisch unabhängig, aber die Niederlande bezahlen einen Teil des Haushalts und besorgen die Außenpolitik. Es gibt eine eigene Währung, aber der US-Dollar ist die eigentliche Währung. Es gibt viele aufwendig renovierte Villen, dort residieren die wichtigsten Leute von Curacao: Heuschrecken und Finanzhaie, die Landplage des neoliberalen Zeitalters. Die Insel ist ein Paradies für Steuerflüchtlinge. Ansonsten kommen noch viele Touristen, na klar, hauptsächlich aus Holland, es gibt tägliche Verbindungen nach Schiphol. Schulkinder lernen von Amts wegen 4 Sprachen: die eigene Sprache Patao, verwandt mit dem Portugisischem, Spanisch (Venezuela ist vor der Tür) Englisch und natürlich Holländisch. Übrigens, auf der ganzen Reise haben Taxi- oder Transferfahrer meinen Horizont erheblich erweitert.

Ich sitze in einer Kneipe an der Hafeneinfahrt und schaue mir bei Bierchen aus 0,25 Fläschchen zu 2 Dollar 50 alles aus der Landperspektive an. Alles ganz interessant, aber irgendwie werden gegen 23 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt, ich habe sogar Schwierigkeiten, ein Taxi zurück zu finden. Warum fährt die Buxfavorite eigentlich auf jeder Reise auf dem Hinweg hierher?  Nur leere Container gehen raus, rein sind sie voll. Es soll den Steuerflüchtlingen und Touristen schließlich an nichts fehlen und so wird eben alles importiert. Dass die Preise auf Curacao höher sind als in Europa versteht sich von selbst. Die Philippinos gehen hier nie von Bord, "this island is for tourists like you, not for us".

Nach weiteren 24 Stunden Fahrt erreicht das Schiff  Cartagena in Kolumbien, den sicherlich interessantesten Hafen der Route. Das fürchterliche Kolumbien, Bürgerkriegsland, das Auswärtige Amt warnt vor dem Betreten vieler Landesteile. Aber Cartagena sei relativ sicher, meint der Kapitän. Er verlässt uns hier und fliegt zurück nach Deutschland. Sein Nachfolger, ein alter Fahrensmann aus Hamburg, wartet schon. Die Einfahrt am frühen Morgen ist beeindruckend, linker Hand kann man im Dämmerlicht eine langgestreckte Hochhauskette erkennen, dynamische weiße Menschen joggen auf der Uferpromende. Rechter Hand qualmt eine Industrieanlage außerhalb der Stadt die Bucht voll. An den vielen querlaufenden Fischer- und Fährbooten erkennt man, dass das Leben nicht gerade proper für die Leute ist, der Kontrast der Boote zu denen im großen Jachthafen neben dem Containerterminal könnte kaum größer sein.
                                                           
Normalerweise liegt das Schiff ca. 20 Stunden hier, doch aus Chile kommt die Order, dass es um 17 Uhr weitergeht. Die Mannschaft ist stinkesauer, einige haben schon zum dritten oder vierten Mal Cartagena angelaufen und hatten nie eine Möglichkeit in die Stadt zu gehen. Aber der 2. Ingenieur kann sich loseisen, "ich muss einfach mal runter, sonst krieg ich ne Krise", und wir nehmen zusammen ein Taxi in die Stadt. Man könnte auch laufen, ca. eine halbe Stunde bis in Altstadt, aber man rät uns ab wegen dem Viertel direkt hinter dem Terminal. So sicher ist Cartagena also doch nicht.

Der Hafen ist im Gegensatz zu Curacao und Trinidad gesichert wie eine Festung.  Alle sehen irgendwie verbittert und verbiestert aus, im Hafenbus redet kaum jemand. Der shore pass reicht nicht, es müssen extra Papiere ausgefüllt werden. Als wir endlich die Personenschleuse passiert haben ist kein Taxi zu sehen. Aber plötzlich steht Gustavo neben uns, ein ca. 50 jähriger Mann. Was wir denn suchten,  seniorite vielleicht, da könne er helfen. Nur in die Stadt, radebreche ich auf Spanisch. Kein Problem, Gustavo sagt 6 Dollar, wir sind einverstanden. Wie aus dem nichts steht ein klappriger PKW neben uns, 10 Minuten später stehen wir in der Altstadt, UNESCO Weltkuturerbe.

Sie ist wirklich sehenswert. Ihre Besonderheit gegenüber anderen kolonialen Altstädten in Südamerika ist die geschlossene, mächtige Festungsmauer. Die Häuser sind ansprechend renoviert, kein Anzeichen von Verfall, irgendwie steckt eine Menge Geld in der Stadt. Sie gilt als als reichste Stadt in Kolumbien. Freilich drängt sich mir sofort die Frage auf woher das Geld stammt, wohl kaum aus dem Kaffeehandel alleine. Klar geht mir der Kokainhandel und die Wäsche von Narco-Dollars durch den Kopf. Aber das lässt sich schwer beobachten.

Gustavo erweist sich als zwar ungebetener, aber sehr sachkundiger Führer. Das preiswerteste Internet-Cafe, der beste Friseur, die günstigste Wechselstube, Gustavo weiß es. Ich suche einen Panama-Hut, hier sollen sie besser und preiswerter sein als in Panama, Gustavo findet einen. Der 2. Ingenieur sucht für einen Freund ein elektronisches Bauteil, in einem Kaufhaus wird Gustavo fündig. Beeindruckend ist eine Wache mit einer Pump-Gun vor dem Kaufhaus. Wir haben Hunger und Durst. In einem netten Restaurant trinken wir Bier und essen Salat mit Tintenfisch. Wir stellen fest, die Preise sind noch höher als in Curacao, die vielen Nullen beim kolumbianischen Peso haben uns verwirrt, wir haben zu wenig Geld dabei. Gustavo handelt die Zeche so weit herunter, dass wir noch das Taxi zum Hafen bezahlen können und für ihn auch noch etwas übrigbleibt. Er drückt uns zum Abschied seine Karte in die Hand und bittet uns, doch bei den Schiffsbesatzungen zu erzählen, dass es einen besseren wie ihn als Führer in Cartagena nicht gibt. Wir versprechen es.

Es wieder ca. 30 Stunden Fahrt bis nach  Manzanillo in Panama, dem Hafen am Karibikausgang des Kanals. Die schwüle Hitze ist unerträglich. Wir müssen 5 Stunden warten bis ein Liegeplatz frei wird. Selbst im klimatisierten Inneren ist es warm, im Fitnessraum direkt über der Maschine sind es 30 Grad. Hier arbeite ich trotzdem gegen die Wirkung der üppigen Fleischportionen an Bord an. Mit Gemüse war der Koch sparsam, warum er nicht auf den vollen Märkten in Trinidad nachgekauft hat, bleibt sein Geheimnis. Wie in Trinidad ist der Container-Hafen riesig in Relation zur Größe der Staaten, die ihn umgeben. Beide Häfen fungieren als Transithäfen, von denen aus die Container auf andere Karibik-Inseln oder an die mittelamerikanische Ostküste gebracht werden. Außerdem werden in Manzanillo Container, die von der Panama-Kanal Eisenbahn über die Landenge transportiert werden, auf Schiffe verladen, die nicht durch den Kanal passen.

Man sagt mir dieser Hafen sei nun wirklich nicht interessant, aber wann komme ich schon mal hierher. Also fahre ich um 18 Uhr mit drei Philippinos in einem Taxi in die Stadt nebenan, sie heißt Colon. Sie wollen  - wohin wohl? Um 21 Uhr ist Landgangschluss, der Fahrer holt sie um 20.30 Uhr vor der "Olympic Bar" ab. In der Zwischenzeit fährt er mich durch die Stadt, einen schlimmeren Ort habe auf der Reise bisher nicht gesehen. Außer einem aufgeblasenen Casino nur kaputte Häuser und Schilder, auf denen die Leute aufgefordert werden, der Gewalt zu entsagen und keinen Müll wegzuwerfen. Das Elend hat auch hier eine schwarze Hautfarbe. Beim Bierchen klärt mich der Fahrer auf. Das Leben ist teuer, er kommt geradeso über die Runden, die Währung ist hier offiziell der US-Dollar. Nur wer bei der Kanalgesellschaft arbeitet, hat ein gutes Auskommen. Panama-City am anderen Ausgang des Kanals sahne alles ab, in Colon bleibe kaum etwas hängen. Am nächsten Tag bei der Ausfahrt aus dem Kanal sehe ich die erleuchteten Hochhäuser von Pananma-City, einen direkten Vergleich kann ich nicht ziehen, dort legt das Schiff nicht an. 

Panama Kanal



Gegen 23 Uhr verlässt die Buxfavorite den Hafen bloß um sich wenige Kilometer weiter in die Warteschlange des Kanals einzureihen. Kurz vor Sonnenaufgang ist es soweit, um 5 Uhr geht es in die erste Schleuse. Die Schiffe werden nicht am Kai vertäut sondern zwischen zwei Elektrolokomotiven gespannt, die es auf Abstand zur Schleusenwand halten und es, wenn die Kammer vollgelaufen ist, in die nächste Schleusenkammer ziehen. Es gibt davon jeweils drei an der Karibik- und der Pazifikseite. Die Technik fasziniert, aber noch faszinierender ist der Kanal selbst. Der sieht gar nicht aus wie einer, vielmehr ist es ein Stausee, ohne dessen Wasser eine Passage gar nicht möglich wäre. Das Wasser aller meist kleinerer Flüsse der Landenge wird in ihm gesammelt, damit die Hochseeschiffe genug Wasser unter dem Kiel haben. Links und rechts des Ufer steht tropischer Regenwald. Die gesamte Kanalzone wurde nach dem Abzug der Amerikaner, die dort militärische Trainingslager für den Anti-Guerilla Kampf unterhielten, unter Naturschutz gestellt. Das Wetter ist unverändert schwülheiß, es regnet viel.

Nach dem Passieren der Karibik-Schleusen müssen alle zum Pazifik fahrenden Schiffe in einer Bucht des Stausees mehrere Stunden warten, man kann ausgiebig den Regenwald anschauen, kein Mensch ist zu sehen, kein Haus, nicht mal ein Angler, nur die entgegenkommenden Schiffe. Die Wartezeit ist der Pazifik-Schleuse geschuldet, dort geht alles langsamer und um mit dem Wasser des Stausees sparsam umzugehen, muss immer jede Kammer mit einem Schiff belegt sein.                              

Der Panama Kanal, die reine Durchfahrt dauert nur vier Stunden, ist sicherlich eine der großartigsten Passagen, die man mit einem Hochseeschiff machen kann. Die Stille ist beeindruckend, man kann sie wirklich wahrnehmen, wenn man auf den Bug des Schiffes geht, dort hört man die Maschine nicht mehr. Dort war sowieso mein Lieblingsort an Bord, allerdings ein Ort ohne Schatten. Auf der Pazifikseite wird es dann wieder hektisch, die Panama-Kanal Eisenbahn rattert, die Panamericana Straße überbrückt den Kanal, neue große Schleusen werden gebaut für die Riesen unter den Schiffen, die bisher nicht durchpassen. Niemand weiß wie sich das auf die empfindliche Ökologie rund um den Stausee auswirken wird.

Erst gegen 23 Uhr läuft das Schiff aus der letzten Schleuse aus, zwanzig Minuten später kommt die große Überraschung, es wird lausig kalt, der offene Pazifik ist erreicht. Nur einen Tag später überqueren wir den Äquator, die Temperatur beträgt gerade mal 22 Grad, ein Rückgang um ca. 13 Grad verglichen mit den Kanal und der Karibik. Auf der Höhe von Callao in Peru sind es gerade noch 15 Grad. Ich hole seit zwei Wochen zum ersten Mal wieder Socken, lange Hemden und das Fleece raus, wenigstens muss ich nicht mehr soviel schwitzen. Wir fahren noch zwei Tage bis Callao, auf dem Wasser sind Unmengen an Seevögeln, nur ein einziges Mal kommt Land in Sicht.

Das alles ist dem Humboldt-Strom geschuldet, dem größten Kaltwasserstrom der Erde. Wenn Europa mit dem Golfstrom eine "Warmwasser-Heizung" hat, dann hat die Westküste Südamerikas einen natürlichen "Kühlschrank". Die Wassertemperatur vor Peru übersteigt auch im Hochsommer die 18 Grad nicht. Er  hat eine der absonderlichsten Landschaften der Erde entstehen lassen, eine etwa 3000 km langgestreckte Wüste in einen Streifen entlang der Anden und des Pazifik. Sie durchzieht Peru fast von der Grenze zu Equador endet in Chile ein kleines Stück nördlich von Santiago.  Direkt neben dem Ozean fährt man häufig durch Nebelbänke. Fast immer ist der Himmel dunstig und bedeckt, der sogenannte garrua. Er sorgt dafür, dass das Wetter in Lima einen stark an London erinnert lässt. Aber in diesem Wüstenstreifen regnet es nie. Der Wind kommt immer aus dem Osten und die Anden fangen jeden Regentropfen des Atlantik, der es bis zu ihnen geschafft hat, ab. Es ist die trockenste Wüste der Welt.