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       Berlin                  -                Baikal                  -            Peking

2003 haben wir mit dieser Art zu reisen, nämlich kein oder nur unumgänglich ein Flugzeug zu benutzen, begonnen. Berlin - Peking war Weg und Ziel zugleich. Was ist nach einer so langen Zeit (ich schreibe dies im Juli 2013) im Kopf geblieben? Wir haben damals die Reise zu Dritt unternommen, Irene, meine Frau, Sebastian unser Sohn -damals 15 - waren dabei. Meine Tochter Jenny hatte keine Lust. Und so sind wir an einem heißen Juli Tag morgens früh vom Berliner Ostbahnhof mit dem Berlin - Warzawa - Express losgefahren. Die Klimaanlage im Zug war defekt, aber bis Warschau sind es ja nur 5 Stunden. Im unterirdischen Centralna Bahnhof sind wir dann in einen sehr alten polnischen Schlafwagen mit 3 Stock Bett - Abteilen und einem großen(!) Waschbecken, das man zu einem Tisch umbauen konnte, eingestiegen. In Brest, also schon in Weißrussland erleben wir dann zum ersten Mal das Umspuren eines, unseres Zuges. Wir können im Abteil bleiben, während der Zug in eine Halle gefahren wird. Die weißrussische Passkontrolle  stempelt unsere Pässe ab, alte Frauen versuchen etwas an die Reisenden zu verkaufen, eine Prostituierte kommt ebenfalls in den Waggon, alles während Arbeiter mit viel Lärm die westeuropäischen Fahrgestelle unter dem Waggon hervorholen und die russischen Fahrgestelle anmontieren. Der weißrussische Zoll stempelt das Visum für Russland gleich mit ab. Der Zug setzt sich abends in Bewegung. Von diesem Land haben wir außer der Halle nichts weiter außer ein bischen unendliche Weite in der Dämmerung mitbekommen.

Beim Aufwachen morgens steht der Zug in Smolensk, also schon in Russland. Eine russische Zollkontrolle hat es nicht gegeben. Um ca. 11 Uhr rollt der Zug dann im Weißrussischen Bahnhof in Moskau ein. Wir beziehen zwei Zimmer in einem riesigen Hotel aus der Sowjetzeit, in der Nahe eines gigantischen Straßenmarktes. Wir wollen mit der U-Bahn in das Zentrum fahren. Ich habe wegen der Hitze weite Schlabberhosen an und gewohnheitsmäßig alle Karten und  Geld im Portemonnaie in der linken Hosentasche. Wir betreten einen vollen Waggon , drei irgendwie asiatisch aussehende junge Männer stürmen die Bahn, rempeln mich an, die Tür schließt gerade, sie drücken sie wieder auf und stürmen wieder raus. Im nächsten Moment ist die Leere in meiner linken Hosentasche deutlich spürbar. Alle meine Karten, Geld, Perso, Führerschein (wozu hätte ich den gebraucht  - der Gipfel der Blödheit) sind weg. Der Pass ist gottseidank im Hotel. Geschockt fahren wir dorthin zurück, dort gibt es eine eigene Polizei, die erklärt sich aber nicht für zuständig, verweist uns an die U-Bahn Polizei. Die verstehen uns kaum. Irgendwann taucht ein Zivilpolizist auf und fährt mit uns 5 Stationen weiter in sein Revier in einem Keller einer Art Lagerhaus. Er spricht einigermaßen Englisch und setzt umständlich in seinem alten Computer ein Protokoll auf, druckt es für mich aus und wünscht uns viel Glück. Ich schaffe es per Handy die Karten sperren zu lassen. Gestresst sitzen wir abends im Hotel und haben keine Lust auf Moskau mehr.







der Baikal   -  Zug












Am Sonntag fahren wir in die Stadt, im Hotel hatte ein Automat auf Irenes Karte Geld ausgespuckt. Wir besuchen das übliche, Kreml usw. Der Rote Platz ist gesperrt. Warum ist unklar. Lenin kriegen wir nicht zu Gesicht, dafür ist nebenan das Kaufhaus GUM voll mit Deseigner-Ware, es sind aber keine Kunden dar, die Angestellten stehen gelangweilt herum. Irgendwie gefällt uns die Stadt nicht, aber wahrscheinlich liegt das an den  Folgen des Überfalls. Am Montag steht die U-Bahn auf unserem Programm, die Stationen sind prächtig ausgestaltet, voller Bezüge zur untergegangenen Sowjetunion. Für mich sind diese Stationen das Sehenswerteste an dieser Stadt. Abends sitzen wir müde in der Lobby unseres Hotels, eine Gruppe mit drei Franzosen und einem Deutschen sitzt neben uns, ein Transitfahrer kommt und schmeißt uns eine Klarsichthülle hin mit den Fahrkarten, denn heute Abend sollen wir den Zug Baikal besteigen. Wir verstehen den kyrillischen Text der Fahrkarten nicht, aber wir bilden mit den Vieren eine Reisegruppe. Der Fahrer bringt uns zum Jaroslawler Bahnhof und um 23.30 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Es wird die längste Strecke werden, die ich bisher am Stück mit einem Zug gefahren bin, die Transsib auf ihrer alten klassischen Route. Vier Nächte und drei Tage werden es mit max. 20 Minuten Halt etwa alle zwei Stunden. Diese Fahrt hat mich auf den Geschmack gebracht. Es werden in nächsten Jahren noch viele Fahrten werden.

Was ist an Eindrücken hängen geblieben? Bei freundlichem Wetter fahren wir meist sehr gemächlich durch die Felder, Hügel und Wälder des europäischen Rußland. Wir schauen hinein in Dörfer aus Holzhäusern, Gärten voller Kartoffeln und Weißkohl  und unbefestigten Dorfstraßen. Sehr selten ist ein Mensch oder ein Auto zu sehen. Das Ural-Gebirge überqueren wir leider nachts.

Am nächsten Morgen wird der Zug in Tjiumen rangiert. Überall stehen ölverschmierte Kesselwagen herum, hier ist das Zentrum der russischen Ölindustrie. An diesem Tag schauen wir in eine gänzlich andere Landschaft, die brettebene westsibirische Tiefebene mit ihren Wiesen, Sümpfen und Baumgruppen.  Die kleinen Bahnstationen mit den wenigen Häusern sind schachbrettartig angelegt, die gewachsenen Dörfer im europäischen Rußland sahen anders aus. Ich komme mit dem Deutschen unserer Ko-Reisegruppe ins Gespräch. Wir sprechen über die gigantischen Ausmaße dieses Landes, die wir im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. Darüber, wie europäische Eroberer und Verbrecher wie Hitler überhaupt auf die Idee kommen konnten, ein solches Land erobern zu wollen. Nur die Mongolen haben das geschafft.

Am Abend fährt der Zug über die erste von drei gigantischen Brücken über den Irtysch bei Omsk. Noch länger sind die kommenden über den Ob und den Jenessei. Am dritten Tag gleitet das mittelsibirische Bergland vorbei. Es hat eine Gestalt wie unsere deutschen Mittelgebirge, scheint aber völlig menschenleer zu sein. Dafür gibt es riesige Brandflecken in den Wäldern, die auf gigantische Waldbrände schließen lassen. Es nieselt den ganzen Tag, die Brandflecken wirken irgendwie unwirklich. Ich hatte von solchen Bränden in Sibirien noch nie gehört. In unsere Medien schaffen es nur Brände in den USA (oh my god, fire in Malibu), Australien oder Südeuropa.

Am Morgen des 4. Tages erreichen wir Irkutsk. Wir steigen hier aus und verabschieden uns von unseren beiden Provodnizas. Die beiden Frauen haben den Waggon im 12stündigen Wechsel betreut. Sie bringen Tee, verkaufen Kleinigkeiten, machen sauber, achten bei den Stops darauf, dass  jeder wieder einsteigt. Einmal war es für uns ganz knapp, der Zug pfeift  kurz und nach dem zweiten Pfiff fährt er los. Nur einmal hatte es einen kleinen Streit gegeben wegen einer angeblich überzähligen Garnitur Bettwäsche. Wir hatten zu dritt ein ganzes Vierer-Abteil gebraucht, aber nur drei Garnituren gebraucht.

Von Irkusk fahren wir weiter mit einem Kleinbus nach Listwianka, dem Touristenort am Baikalsee. Der Ort wirkt auf uns verschlafen und so gar nicht touristisch. Wir übernachten in einem neu erbauten Gästehaus aus Holz mit Balkon und Blick auf den See. Die nächsten Tage erkunden auf allen möglichen Wegen den See. Das er seine Besucher verzaubert, kann ich gut verstehen. Er ist nicht nur der tiefste See der Welt mit einem der größten Süßwasservorrat der Welt, nicht nur der leckere Omulfisch, es ist vor allem das Panorama mit hohen schneebedeckten Bergen im Umfeld, die Leere an seinen Ufern, das ständig wechselnde Wetter, das diesen See so einzigartig macht.

Wir bleiben noch eine Nacht in Irkutsk in einer Privatwohnung mit Blick auf den mächtigen Angara-Fluss, den einzigen Abfluss aus den See. Wir laufen durch die eher verschlafene Großstadt mit ihren wunderschönen Holzhäusern, aufwendig verziert mit Schnitzereien. Leider scheinen die meisten dem Verfall preisgegeben. Am Morgen besteigen wir einen russischen Zug mit dem passenden Namen Wostok (Osten), der einmal wöchentlich von Moskau nach Peking und zurück fährt über die Mandschurei. Alternierend gibt es eine wöchendliche Verbindung über die Mongolei mit einem chinesischen Zug. Der Zug braucht wiederum drei Tage, aber nur zwei Nächte bis zu unserem nächsten Stop in China. Wir genießen die Fahrt um das Südende des Baikalsees, die Strecke führt direkt am Ufer des Sees entlang bis zur Mündung der Selenga und folgt dann dessen großartig mäandierenden Tal.

Am 2. Tag steht der Zug in einem Bahnhof, das nervtötende Geschimpfe einer Frau über Lautsprecher weckt uns. Wir verlassen hier die elektrifizierte Transib und biegen auf die transmandschurische Bahn ein. Ein Diesellok zieht den Zug mit ca 30 kmh hinauf in die östlichen Ausläufer der mongolischen Hochebene. Das wellige leere Grasland zieht uns in seinen Bann. Gegen Mittag kommt der Zug vor einem riesigen Bahnhofsgebäude zustehen. Es könnte der Bahnhof einer russischen Großstadt sein, aber es ist der russische Grenzbahnhof  von Zabaikalsk. Vorgesehen waren hier ca. 4 Stunden Aufenthalt inklusive Umspuren, die chinesische Bahn hat die europäische Spurbreite. Es wurden dann 7 Stunden. Nach zwei Stunden steht der umgespurte Zug wieder da.  Mit unseren Pässen waren die Grenzer verschwunden. Wir können aber durch den verschlafenen Ort laufen. Es gibt ein paar Plattenbauten, sandige Wege, ein kleines Geschäft, einen Imbiss im Bahnhof. Wenigstens ist schönes Wetter hier auf 1000m Höhe. Ich unterhalte mich lange mit einem schwarzen Amerikaner aus Kalifornien, er ist Lehrer wie ich. Die meisten Reisenden sind Chinesen. Die Männer unter ihnen fangen einen Sängerwettstreit an, sie scheinen das Spiel hier zu kennen.

Nach 4 Stunden werden wir etwas barsch in den Zug hinein gebeten. Eine dralle blonde Zöllnerin gibt uns die Pässe zurück, dann wir es ja gleich losgehen, weit gefehlt. Plötzlich tauchen andere Uniformierte auf, trampeln über die Dächer, reisen Deckenverkleidungen heraus. Eine chinesische Familie, Vater, Mutter und Tochter muss den Zug verlassen. Unsere Provodnizas zucken auf die Frage, wann es weitergeht, vielsagend die Achseln. Die Luft wird schlecht, wir dürfen nicht raus. Bei dieser Art Waggon funktioniert die Klimaanlage nur, wenn der Zug rollt. Die Toiletten sind verschlossen. Wieder andere Uniformierte tauchen auf, laufen genervt herum. Es wir dämmrig.

Endlich rollt der Zug wieder, wir sehen Grenzanlagen wie früher an der innerdeutschen Grenze. Es sind etwa 20 km nach Mandschuli, der chinesischen Grenzstation. Ein gewaltiges Gleisfeld mit einer überspannenden Leuchtschrftzeichenbrücke taucht auf. Der Zug hält und wird lautstark  mit Techno-Musik empfangen. Der chinesische Passkontrolleur steigt ein, stellt einen genau auf die Abteiltür zugeschnittenen großen Hocker mit einem Laptop in die Tür. Er tippt irgendwas ein, stempelt die Visa ab. Dann kommt ein junger Mann in Weiß, spricht uns auf Englisch an, zeigt uns eine Art Pistole, die ein Fiebermessgerät ist, das er uns vor den Kopf hält und unsere Temperatur misst. Es sei ein deutsches Produkt, meint er charmant. Ich stelle mir die Reaktion vor, wenn ein deutscher Grenzer Reisenden eine Pistole an den Kopf halten würde. Er gibt uns einen Fragebogen in chinescher und kyrillischer Schrift, übersetzt uns die Fragen und sagt, dass alles in Ordnung sei. Das war sie Sars-Kontrolle. Die Epidemie hätte im Vorfeld beinahe unsere Reisepläne scheitern lassen, da unser Hotelort in China Quarantänegebiet war.

Dann dürfen wir auf den Bahnsteig raus, wir sind hungrig und durstig. Die Musikbeschallung hat nun auf chinesische Schnulze gewechselt. Im Gebäude stehen schreiende Händler. Wir wechseln ein bisschen Geld, kaufen Bier, Wachteleier im Glas und ein Päckchen, in dem wir Würstchen vermuten. Es waren gegrillte Hälse von irgendeinem Federvieh. Wir sitzen biertrinkend auf dem chinesischen Grenzbahnsteig. So was habe ich auf einem Grenzübergang nicht für möglich gehalten. Ich stelle mir vor, so etwas wäre auf einem DDR Grenzbahnhof möglich gewesen. Wenigstens die Internationale hätten sie doch spielen können. Pünktlich (!) um 22.30 Uhr fährt der Zug ab gezogen von einer modernen E-Lok und donnert mit hohem Tempo durch die Nacht.

Am Morgen ist alles verregnet. Der Zug fährt durch die Mandschurei. In Harbin kaufen wir gedämpfte Teigbällchen auf dem Bahnsteig, der Zug rollt ohne Pfiff an, während ich noch draußen stehe. Wir sehen Hochhäuser, Baukräne, dicht gebaute Felder und viele, viele Menschen. Wir fahren jetzt nach Süden, kommen in Shenyang an der VW Autofabrik vorbei. Es wird wieder Abend, wir legen uns nochmal hin, werden um 24 hr geweckt und steigen aus in Shanghaiquan. Eine freundliche Chinesin holt uns mit einem Auto ab und bringt uns etwa 50km nach Bedaihe in unser Hotel direkt am Meer.

Hotelstrand

















Parteistrand








Was wir nicht wußten, dieser Ort ist der Erholungsort der chinesischen Parteiführung. Er liegt auf einer Halbinsel und wurde wahrscheinlich deswegen zum Quarantäne-Standort. Wahrscheinlich sollte die Parteiführung nicht angesteckt werden. Die hat einen eigenen Strandabschnitt direkt neben unserem Hotelstrand. Der ist immer rappelvoll, der Parteistrand leer. Viele russische Pauschaltouristen aus Wladiwostok sind hier, zwei Stunden Flugzeit. Der Parteistrand wird bewacht vom Militär. Taucher suchen jeden morgen einen Drahtverhau unter Wasser ab. Die Parteigranden mit ihren Familien kommen erst nachmittags, vormittags darf man über das Strandstück laufen, nachmittags nicht. Ein volluniformierter Polizist sitzt bei 30 Grad und großer Schwüle kerzengerade auf einem Stuhl und scheucht jeden weg. Eine ältere Frau kommt und will über den Parteistrand laufen, wird weggeschickt. Sie fängt ganz fürchterlich an zu zetern. Der Polizist holt einen Vorgesetzten, sie darf rüberlaufen und zurück. Wir fanden die Szene köstlich, über die Straße hinter dem Strand hätte sie vielleicht 30m mehr laufen müssen, wollte sie aber nicht.

Strandleben in China: Wir erregen Aufsehen, weil wir schwimmend  die Sicherheitsbegrenzung überqueren. Viele können offensichtlich nicht schwimmen, lassen sich auf aufgeblasenen Autoschläuchen treiben mit viel Geschrei. Einmal kommt ein Bus voller Jugendlicher. Sie steigen aus, schmeißen sich in voller Montur kreischend ins Wasser. Nach einer halben Stunde steigen sie triefend nass wieder ein und fahren wieder weg.

Mit einem komfortablen Zug fahren wir die letzten 300 km nach Peking. Neben unserem Hotel gibt es noch richtige Hutongs mit viel Leben vor allem am Abend. Dann verwandeln sich viele Höfe in Restaurants. Menschen machen Qi Gong auf der Straße. Natürlich stehen der Tienanmen Platz und die Verbotene Stadt auf unserem Programm. Viel mehr machen wir nicht, es ist heiß und schwül. Unser Sohn hat in einem U-Bahnhof einen Schwächeanfall. Er bleibt am letzten Tag im Hotel. Wir lassen uns in einer Fahrrad Rikscha durch die Hutongs im zentrum fahren, besuchen 'prebooked' eine Familie. Die Innenhöfe sind sehr grün. Immer mehr Parteihäuptlinge wohnen hier. Das schützt die Gebäude vor dem Abriss. Ansonsten ist die Stadt ein Moloch mit inzwischen 5 Ringstraßen und Hochhäusern bis zum Horizont.

Auf dem Flughafen treten wir die Rückreise an. Die Seidenstraße nach Westen haben wir uns als Rücktour verkniffen, im Westen Chinas ist es jetzt glühend heiß. Die Tour wird auf später verschoben. Den Kopf voll mit Eindrücken fahren wir am Abend durch Berlin und denken, mein Gott, ist das alles klein hier.

Ganz schön viel hängen geblieben, 10 Jahre später.


Almaty        -          Shanghai

Auf den Geschmack gekommen, beschlossen im Herbst 2004 Sebastian, inzwischen 16 Jahre alt, und ich die Strecke, die wir uns letztes Jahr verkniffen hatten, zu bereisen, also die Seidenstraße. Im Jahr davor hatte auch der Hochsommer eine Rolle gespielt, die Wüsten West-Chinas werden 50 Grad und mehr heiß. Wir haben uns für den Herbst entschieden und haben demnach nur 2 Wochen Zeit. Also fliegen wir an einem Samstag Anfang Oktober nach Almaty in Kasachstan. Von dort fährt zweimal die Woche ein Zug über die erst in 90iger Jahren fertiggestellte Seidenstraßen-Bahn nach Urumschi, der Hauptstadt der chinesischen Nordwest-Provinz Xinjiang, der nächste am Dienstagabend. Also brechen wir am Sonntag früh mit einer kirgisischen Begleiterin und einem russischen Fahrer auf nach Kirgistan. Direkt hinter Almaty erhebt sch mit über 3000 m das Alatau-Gebirge, dort fängt dieses kleine Land an.

Was zieht mich dahin? Es ist einer meiner Lieblingsschriftsteller, Tschingis Aitmatov, einer der größten, den die untergegangene Sowjetunion hervorgebracht hat, ein Kirgise, der in russischer Sprache geschrieben hat. Das erste und vielleicht immer noch berühmteste seiner Bücher ist Dschamilja, eine Liebesgeschichte. Die Geschichte spielt in einem kirgisischen Ail (Dorf), während fernab in Europa der II Weltkrieg tobt, aber doch das Leben im Ail verändert. Immer spielen in seinen Büchern die Berge, die Steppe und der Issykul-See eine große Rolle.

Hinter Almaty gibt es keinen Grenzübergang. Wir müssen weit nach Osten fahren durch die kasachische Halbwüste. Wir schauen uns den Charyn-Canyon an, der Fluss führt ganzjähig Wasser. Am Grenzübergang Kegan, an dem Jahre später meine Frau zwei Tage Zwangsaufenthalt haben sollte, eine unliebsame Überraschung. Angeblich erlaube unser kasachisches Visum keine zweimalige Einreise, wir müssten uns in Bischkek ein neues besorgen. Burul, unsere kirgische Begleiterin, beweist dem Grenzer das Gegenteil. Er entschuldigt sich. Vier  Jahre später war das Visum meiner Frau wirklich falsch, wir haben die falsche Monatsziffer (o4 statt 05) nicht bemerkt. Die kirgisischen Zöllner sind in beiden Fällen die Freundlichkeit in Person.

Wir fahren weiter durch eine traumhafte Landschaft in 2000m Höhe. Die Halbwüste wird vom 'Schwarzwald' abgelöst. Sergej, unser Fahrer, erzählt uns wilde Geschichten. Stalin habe hier den Anbau von Mohn erlaubt für medizinische Zwecke, er werde illegal immer noch angebaut, aber nicht für medizinische Zwecke. Auch gebe es hier "really strong marihuana", viele konsumierten es. Wir überholen einen jungen Reiter, der eine Herde Kühe hütet und sich gerade eine 'Tüte' dreht.

Wir erreichen Karakul. Unsere Unterkunft hat einen altsozialistischen Charakter. Außer uns ist dort noch eine israelische Busgesellschaft zu Gast. Wir besichtigen das Prezcewalski-Museum. Eine sehr alte Russin erklärt uns die Geschichte dieses russischen 'Sven Hedin'. Nach ihm sind die kleinen Pferde benannt, auf denen der männliche Teil der Kirgisen ständig unterwegs ist. Das tun sie nicht ganz freiwillig, öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum, ein Auto ist für die allermeisten unbezahlbar. Die Menschen sind nach dem Ende der Sowjetunion verarmt, Kirgistan ist unter den Nachfolgestaaten einer der größten Looser, zurück zum Nomadismaus also.

Wir fahren am Nordufer des Issykul-Sees entlang, ca 2500 m hoch gelegen, der zweithöchste schiffbare See der Welt. Das Südufer ist nicht zu sehen, dafür ist er zu groß. Boote sehen wir aber auch nicht. Unsere nächste Unterkunft liegt direkt am See, ein 'Resort', gesichert mit einem Zaun und einer Wache. Weiter Richtung Bischkek wird die Landschaft immer mehr landwirtschaftlich genutzt. Wir essen irgendwo sehr lange zu Mittag, erst um drei sind wir dort. Die Beiden wollen uns die Stadt zeigen, ich dränge zum Aufbruch, es sind 300km zurück nach Almaty und der Zug wird nicht warten. An derGrenze gibt es keine Probleme, es geht mit 20 min sehr schnell. Dann stellt sich heraus, das die Straße Almaty-Bischek zur Autobahn ausgebaut wird, d.h. sie ist verschwunden. Die Autos fahren auf einer Piste neben der alten Straße. Nach 6 Stunden haben wir dann auch noch den abendlichen Stau in Almaty überwunden. Es ist 21 Uhr und in einer Stunde fährt  der Zug. Wir essen und trinken schnell noch was, verabschieden uns. Die zwei werden gegen 4 Uhr zurück in Bischkek sein und Burul muss morgen arbeiten.

Es ist ein chinesischer Zug. In unserem Abteil sitzt bereits ein australisches Ehepaar. Sie gehören zu einer Gruppe und bereisen die Seidenstrasse bereits ab Istanbul. Ich finde ihr Projekt hochinteressant. 9 Jahre später werden wir es dann selbst machen.

Am kalten nächsten Morgen fährt der Zug durch die Dsungarische Pforte, eine Hochebene zwischen dem Tienschan-Gebirge und dem Altai-Gebirge. Durch sie die mongolischen Horden Richtung Zentralasien gezogen. Gegen Mittag erreichen wir die kasachische Grenzstation. Diesmal wird der Grenzübertritt insgesamt 8 Stunden dauern. Vor allem die Kasachen sind unfreundlich, auf der chinesischen Seite keine Disco am Bahnsteig, nur preußische Korrektheit. Den Zug verlassen dürfen wir nicht, einen Speisewagen gibt  es auch nicht. Immerhin haben chinesische Züge Klimaanlagen und Toiletten, die auch im Stehen funktionieren. Wir sind lange eingeschlafen, als der Zug endlich losfährt.

Der Zug trifft mit 3 Stunden Verspätung in Urumschi (Wollumschi) ein.  Bei Tageslicht sehen wir unendliche Baumwollfelder. Es ist Erntezeit. Die Baumwollpflücker tragen alle Mundschutz wohl wegen der Pestizide und dem Staub. Viele Wanderarbeiter bevölkern die Sitzwagen der Züge, sie fahren zur Ernte nach Westen. Unsere örtliche Reiseleiterin holt uns ab, sie nennt sich Winni. Ein Auto bringt uns  etwa 200 km weiter nach Osten in die Oase Turfan. Wir fahren durch eine schwarze Stein- und Geröllwüste immer bergab. Unzählige Windräder säumen die breite Autobahn. Der gigantische Windpark nutzt die Fallwinde von der Hochebene in die Senke von Turfan, den die Oase liegt in einer geologischen Depessionszone, der tiefste Punkt ca. 154 m unter dem Meeresspiegel, aber über 2000 km weg vom nächsten Meer.

Turfan ist ein Siedlungsschwerpunkt der Uiguren, der moslemischen, turksprachigen Minderheit im chinesischen Nordwesten. Im Umfeld der Oase liegen viele Bauten und Ruinen teilweise noch aus dem 1.Jahrtausend vor Chr., z.B. Jiaoche und Gaochang, die die historische Bedeutung dieser Oase am nördlichen Zweig der Seidenstrasse deutlich machen. Wir besuchen das unterirdische Kanalsystem, mit dem die Oase mit Wasser aus dem Tienshan-Gebirge versorgt wird. Es wird sogar Wein angebaut, die Trauben schmecken sehr süß. Bei einem Weinbauern kriegen wir reichlich zu essen, leckere selbstgemachte Nudeln in einer scharfen Soße. Leider  haben wir uns kräftig den Magen verdorben. Wir haben einen Fleischklops im Bahnhofsrestaurant an der kasachischen Grenze in Verdacht. Der Ärger wird mich Jahre später dazu bringen, mir vor solchen Reisen eine Cholera-Impfung verpassen zu lassen, das  hilft auch gegen normale Durchfälle.

Wir fahren über Nacht weiter durch die Wüste Gobi und steigen am frühen Morgen in Dunhuang aus. Wie in Turfan ist die Stadt zig Kilometer von der Bahnstation entfernt. In Dunhuang hat sich die Seidenstrasse in eine nördliche und eine südliche Route um die Takla-Makan Wüste geteilt. Die Oase war für lange Zeit der westliche Endpunkt des chinesischen Reiches. Unsere neue Begleiterin nennt sich Shaleen und überredet uns zu einer Extra-Tour in die Takla Makan. Wir fahren ca. 100 km weit hinein in die Wüste und sehen dort die letzten vorhandenen Reste der Chinesischen Mauer nach Westen hin mit dem Jade-Tor. Von hier ab waren die Händler  und Kaufleute ohne die Macht des Kaisers auf sich alleingestellt. In einer kleinen Oase in der Nähe wird in einem Museum die Geschichte eines Feldherrn erzählt, der Gebiet während der Tang Dynastie eroberte.

Südlich von Dunhuang haben sich riesige Sanddünen aufgetürmt. Mitten im Sandmeer liegt ein kleiner See mit einem taoistischen Kloster. Man hat sehr chinesisch das ganze Umfeld zu einer Touristenattraktion gemacht mit Kamelreiten, Sandrutschen und ähnlichem. Etwas östlich am Rand eines trockenen Canyons befinden sich schließlich die Mogao-Grotten. Hier findet man gigantische Buddha-Statuen. Die größte ist 32 m hoch. Sie waren vom Sand zugeweht und dadurch vor europäischen Kalturräubern geschützt die ab dem späten 19.Jahrh. diese Weltgegend heimgesucht haben. Wir haben eine weitere Grotte in Turfan gesehen, in der sämtliche Statuen entfernt waren. Sie stehen heute in Berlin-Dahlem. Nur die Klosterbibliothek von Mogao hat ein korrupter Mönch an einen Franzosen verschachert. Heute ist die Anlage komplett  verschlossen mit Holztüren. Nur einzelne Grotten werden für Touristen aufgeschlossen und mit Taschenlampen erleuchtet.

Über 20 Stunden sind wir unterwegs zu unserem nächsten Ziel, der alten chinesischen Hauptstadt Xian. Es ist eine Fahrt zum erheblichen Teil bei Tageslicht entlang des Gelben Flusses und durch die Lößberge von Yunan. Hier hatte sich Mao Tse Tung mit seinen kommunistischen Partisanen nach dem Langen Marsch vor der Kuomintang Armee und den Japaner verschanzt. Von hier aus eroberten sie ab 1945 den ganzen Staat.

Xian schließlich ist eine Millionenstadt, ursprünglich Ausgangspunkt der Seidenstrasse, die von unzähligen Touristen heimgesucht wird. Sie alle kennen nur ein Ziel: die legendäre Terrakotta-Armee, die erst in den siebziger Jahren von einem Bauern entdeckt wurde. Ich habe sie bereits in meinem Bericht von 2007/8 vorgestellt. Wir besuchen noch ein Kurbad innerhalb der Stadt, dass 1939 eine wichtige politische Rolle gespielt hat durch den sogenannten Xian-Zwischenfall. Es fanden hier Verhandlungen statt zwischen Tschiang Kai Tschek und den Kommunisten statt, den Bürgerkrieg zwischen ihnen angesicht der japanischen Invasion zu beenden. Tschiang wollte nicht und wurde von seinen eigenen Generälen zur Unterschrift unter den Waffenstillstand gezwungen. Angeregt durch den Besuch hat mein Sohn Sebastian später ein Prüfungsthema im Abitur daraus entwickelt.

Nach weiteren 20 Stunden im Zug erreichen wir Shanghai, den Endpunkt unserer Reise. Die Mega-Metropole erschlägt durch ihre Ausmaße. Nach den vielen Kilometern durch Berge, Wüsten und die Tiefebene schreckt uns der Trubel ab. Es gibt dort keine Hutongs wie in Peking. Das einzige was dort alt ist, ist der 'Bund', ein Straßenzug entlang des Hoang Po Flusses, der geschäfig durch die Stadt zum Jiangtsekiang fließt, der wiederum nördlich von hier ins Meer mündet. Es handelt sich um Geschäftshäuser aus dem frühen 20. Jahrh., die sogenannte britische Konzession, als China noch völlig ein Spielball fremder Mächte war.

Das megalomanische Geschäftsviertel Pudong mit seinem gigantischen Turm verkneifen wir uns, wir lassen uns vom Sog der geschäftigen Messer etwas mitreisen, aber nur ein bischen. Von Pudong geht die aus Deutschland stammende Magnetschnellbahn zum Flughafen, wir fahren mit einem ganz normalen Taxi dorthin. Shanghai ist eine Reise wert, aber nur für Geschäftsleute. Touristen sollten einen Bogen um diese Stadt machen.