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China

Es ist meine dritte Reise nach China innerhalb von 5 Jahren, Irenes zweite. Auf den ersten beiden Reisen erging es uns wie vielen anderen Chinareisenden aus Europa, man ist fasziniert von der Kultuir, von der so ganz anderen Mentalität, von der atemberaubenden wirtschaftlichen Dynamik. Ausgerechnet die größte kommunistische Partei der Erde organisiert einen lupenreinen Kapitalismus, der sich ungestört von Gewerkschaften und ökologischen Störenfrieden entfalten kann. Die negativen Aspekte dieser Entwicklung haben wir auf den ersten Reisen am Rande wahrgenommen, diesmal standen sie oft genug im Mittelpunkt. Woran hat das gelegen? Ein Grund ist sicher, dass wir auf unseren ersten Reisen aus Russland oder Kasachstan eingereist sind, Länder die eher europäisch geprägt sind. Diesmal haben wir vorher andere asiatische Kulturen erlebt, das chinesische Erlebnis ist dann doch sehr relativ.

Dann war meine Laune natürlich nicht die beste wegen des gescheiterten Tibet-Abstechers, besonders nachdem wir erfahren haben, dass zum Zeitpunkt unserer Reise für Chinesen auch aus Hongkong und Taiwan die Einreise nach Tibet wieder möglich war. Für Ausländer war dies nicht möglich, da angeblich die Lage dort zu unsicher sei. Gelten in Tibet verschiedene Sicherheitsstandards für Ausländer und Chinesen obwohl die meisten Opfer der Märzunruhen Han-Chinesen waren? So hat etwa das englischsprachige chinesische Staatsfernsehen von vier Frauen berichtet, die, wie oft in China, im Raum hinter ihrem Geschäft lebten. Ihr Geschäft in Lhasa wurde in Brand gesteckt und sie konnten sich nicht mehr retten. Klar ist, dass die chinesische Führung in Tibet "aufräumen" wollte, Ausländer hätten dabei nur gestört.

Auch das Verhalten des Zolls bei der Einreise war gänzlich anders. Beim Grenzübertritt 2003 von Sibirien kommend hatte sich die russische Grenzabfertigung 7 Stunden Zeit gelassen. Auf den chinesischen Grenzbahnhof in Manschuli am nördlichen Ende der Manschurei wurde der Zug mit Musik empfangen, die Formalitäten wurden schnell erledigt trotz einer zusätzlichen Befragung plus Fiebermessen wegen Sars. Man konnte sogar auf dem Grenzbahnsteig ein Bierchen trinken, alles sehr locker. Diesmal wurde uns bei der Einreise aus Vietnam nachts um ein Uhr zum ersten Mal auf der langen Tour vom Zoll das Gepäck durchwühlt. Hinter einem perfekt englischsprachigen jungen Offizier stand seine strenge Vorgesetzte und gab ihm Anweisungen. Nichts wurde ausgelassen. Dann sollten wir etwas unterschreiben, was uns nur in Chinesisch vorgelegt wurde. Wenigstens dem jungen Mann war die Prozedur etwas peinlich. Er bedankte sich höflich für unsere Kooperation nachts um halb drei.

Schließlich waren es auch eine Menge kleinerer Dinge, die zumindest mir den Aufenthalt etwas verleidet haben. Irene hat es etwas lockerer gesehen. Vielleicht war ich auch einfach etwas erschöpft von der langen Reise. So hatten wir durchgängig Drei-Sterne Hotels gebucht. 2003 und 2004 war der Service hervorragend, 2008 nicht. Ständig fehlte das Klopapier, dann sollten wir mal das Frühstück extra bezahlen, manchmal gab es Zimmerservice nur auf Anfrage, einmal sollten wir ein Handtuch bezahlen, das wir angeblich zu stark beschmutzt hätten. Überhaupt haben wir einen deutlich überzogenen Hang zur Geldschneiderei festgestellt. Jede Kleinigkeit sollte extra bezahlt werden. Mir wurde von einem Guide berichtet, dass der Tourismus in Peking im Vorfeld der Olympischen Spiele eingebrochen sei, weil die Hotelpreise sich zum Teil verzehnfacht hätten.

Unsere örtlichen Reiseleiter waren es schließlich, die dafür sorgten, dass die Reise durch China trotzdem ein Erfolg war. Bis auf eine Ausnahme waren es äußerst kompetente Leute, denen wir viele Einsichten verdanken und die keiner unserer Fragen aus dem Weg gegangen sind. Manche unangenehme Situationen z.B. in den Hotels haben sie ausgebügelt. Ihnen gebührt unser uneingeschränktes Lob.

Guilin und Yangshoe

Um 7 Uhr morgens müssen alle Reisenden aus Vietnam völlig übermüdet in Nanning den Zug verlassen. Er wird gereinigt und neu zusammengestellt. Der Bahnhof ist ein nagelneuer Protzbau, wir dürfen in einer luxuriösen aber sterilen Lounge vor uns hin dösen. Wieder im Zug, schlafen wir erstmal eine Runde, die chinesische Soft-Sleeper Klasse ist wirklich sehr bequem, nur die Toiletten sind in einem ähnlich traurigen Zustand wie in Vietnam. Wir erreichen Guilin am frühen Nachmittag. Die Stadt wirkt recht modern, ist aber nicht sehr spektakulär. Schon auf der Fahrt dorthin fallen die einzeln stehenden Kalkfelsen auf, die die südchinesische Landschaft prägen. Wir kennen sie von der Halong Bucht. Spektakulär wird die Landschaft entlang des Li-Flusses. Er ist die Attraktion dieser Gegend. Die Landschaft ist so berühmt, dass sie sogar auf einem Geldschein auftaucht. In Guilin selbst ist die lange Uferpromenade des Li der sehenswerteste Teil der Stadt. Vor unserer Weiterreise haben wir an einem Sonntagmorgen die ganze Breite des sozialen Lebens bewundern können. Neben den klassischen Feng Shui und Tai Schi Übungen scheint vor allem bei den Frauen westlicher Tanz hoch im Kurs zu stehen. Viele Gruppen studieren meist unter Anleitung Tango , Walzer u.ä. ein.

Guilin ist der Ausgangspunkt einer ganzen Flotte von Flussschiffen, die jeden Morgen den Li-Fluss abwärts fahren und sich dabei ein regelrechtes Wettrennen liefern. Man bekommt einen intensiven Eindruck von der Landschaft während dieser Tour, die dem in der Halong-Bucht in nichts nachsteht. Yangshoe ist der Endpunkt des Wettrennens. Eigentlich nur eine Kleinstadt ist es einer der schlimmsten touristischen Nepporte der Reise. Allerdings war die Anmache nicht ganz so heftig wie in Hue. Immerhin haben wir hier auch eine sehr schöne Fahrradtour entlang eines Nebenflusses des Li gemacht. Auch hier dominieren landschaftlich die Kalkfelsen, aber vor allem kann man während der Fahrradtour das Leben der Bauern aus nächster Nähe beobachten. Die Plagerei der Bauern mit ihren Wasserbüffeln im Reisfeld sieht archaisch aus, ist aber sehr real. Uns war schon vom Zug aus aufgefallen, dass die Größe der Parzellen in Südchina wesentlich kleiner ist als in Vietnam.

Sehenswert ist in Yangshoe weiterhin eine große Show, die bei Dunkelheit auf dem Li-Fluss dargeboten wird. Die Show wird inszeniert von dem Regisseur, der auch die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele inszeniert hat. 600 Mitwirkende auf Pontons und Booten bieten ein farbenprächtiges Schauspiel. Aber das Publikum ärgert uns. Ständig quatschen die Leute, es gibt kaum Beifall und schon vor dem Ende hauen viele Leute ab, ziemlich respektlos gegenüber der dargebotenen Leistung. Unser lokaler Guide sagt, dass alle westlichen Besucher dies kritisieren würden.

Chongching

Gegen 14 Uhr geht es auf die lange Strecke nach Chongching, Zeit genug also diesen Teil Chinas bei Tageslicht zu erleben. Die Fahrt geht durch ein wenig bekanntes Gebiet, ländliches und kleinstädtisches China. Vor allem die Kleinstädte sind trostlos. Mittelhohe Hochhäuser, vergammelt und versifft, prägen das Bild. Im Zug gibt es gutes aber zu warmes Bier. Dazu essen wir Instant-Nudelsuppe zubereitet mit heißem Wasser aus dem Boiler, den jeder Waggon in China hat. In unserem Abteil ist eine Frau, die morgens Singübungen macht. Ich habe noch nie jemand so leise singen gehört. Kaum vernehmlich sieht man nur an den heftigen Bewegungen ihres Kehlkopfes, dass sie singt. Wir fahren an diesem Morgen bei trüben Wetter durch die Berge von Sichuan entlang eines Nebenflusses des Jangtse. Es ist eine Neubaustrecke mit vielen Tunneln, der Zug macht Tempo, muss aber vor Chongching lange warten.

Mit einer Stunde Verspätung erwartet uns der örtliche Reiseleiter, ein etwa 60 Jahre alter Mann, im hypermoderen Bahnhof. Er spricht sehr gut Deutsch, war bereits mehrmals in Düsseldorf, der Partnerstadt von Chongching. Formal gesehen ist es die größte Stadt der Welt mit 32 Mio. Einwohner, aber das ist eine administrative Größe. Die eigentliche Stadt hat 8 bis 9 Mio. Einwohner, dazu gehören ländliche Gegenden und kleinere Städte. Der Besuch in dieser Region, die ziemlich genau in der Mitte des Staates liegt, ist als Ersatz für Tibet organisiert worden. Der Kontrast zu Tibet könnte nicht größer sein. Unser Reiseleiter entpuppt sich als der informativste Guide während unseres Besuches in China. Dank seiner Hilfe erfahren wir eine Menge über das ganz normale China, über das Leben in einer Megastadt ohne das internationale Flair von Schanghai oder die politische und kulturelle Bedeutung von Peking. Untypisch ist, dass es kaum Fahrradfahrer gibt, die Stadt liegt auf hohen Hügeln zwischen dem Jangtse und einem mächtigen Nebenfluss.

Die Bautätigkeit ist extrem, momentan werden diese 10 bis 15 geschossigen Hochhäuser aus den 80iger abgerissen, an ihrer Stelle werden 35 geschossige gebaut. Die Wohnungen werden verkauft, abends sieht man, dass viele noch leer stehen. Zu den regulären Bewohnern kommen noch etwa 2 -3 Mio. Wanderarbeiter. Häufig übernachten sie in den leeren Wohnungen, Wasser und Strom funktionieren meist. Aus dem Verbrauch kann die Stadtverwaltung etwa auf die Zahl der Bewohner schließen.

Unser Reiseleiter erklärt uns alles über die Preise der Wohnungen, man muss schon einen guten Job haben um eine zu erwerben. Er geht von einer weiteren Dynamik der Land-Stadt Wanderung aus, ohne die 35 Geschosser gehe es nicht, meint er. Solange das Wirtschaftswachstum anhält, funktioniere das alles. Aber die Gesellschaft trifte auseinander, Amerika sei das große Vorbild, Sozialismus bloß noch eine Vokabel, das einzig kommunistsche an der regierenden Partei sei noch ihr Name.  Er meint, eine kräftige Flaute im Wachstum und es knalle, der aufgehäufte soziale Sprengstoff sei groß.

Als Kontrast fahren wir in die Altstadt etwas abseits vom Zentrum. Sie soll erhalten werden. Schulklassen werden hierher geführt, um den Schülern das Leben früher vorzuführen. Bis zu 200 Jahre alte Holzhäuser stehen hier, z.T. auch Fachwerkbauten. Wir gehen in einem Hinterhof, es ist sehr dunkel, es gibt keine Kanalisation sondern Gemeinschaftstoiletten, die über die Straße entsorgt werden. Vielleicht wollen deswegen alle ins Hochhaus. Aber das Sozialleben funktioniert, vor fast jedem Haus sitzen Männer, spielen Karten und trinken Tee. Auch hier weiß man nur anhand der Strom- und Wasserzähler, wieviel Leute in einem Haus leben. Ein weiterer Teil der Altstadt ist stark kommerzialisiert, eine Ramschbude steht an der anderen, die Touristen sind fast ausschließlich Chinesen. Europäer kommen kaum hierher.

Am nächsten Tag fahren wir nach Dazu, ca. 140 km entfernt. Die dortigen buddhistischen Höhlenskulpturen gelten als einmalig. Im Unterschied zu den Mogao-Höhlen, die wir im Westen Chinas besuchen werden, sind alle Reliefs hier offen zu sehen unter hohen Felsvorsprüngen, die sie vor dem häufigen Regen schützen. Es gibt auch hier einen liegenden Riesenbuddha von annähernd 30 m Länge, aber sehenswert sind vor allem Fresken, die an katholische Darstellungen der Hölle aus dem Mittelalter erinnern. Menschen werden gefoltert und gekocht, alles sehr unbuddhistisch.

Zurück in Chongching lässt die Abfahrt des Zuges auf sich warten. Die Bahn funktioniert hier nicht so perfekt wie sonst in China. Zeit genug um mit unserem Reiseleiter ausführlich über das Thema Korruption zu reden. Er weiß inzwischen, dass ich Lehrer bin und erklärt uns ausführlich, wie Korruption in der Schule funktioniert. Eltern, die die Lehrer ihrer Kinder nicht bestechen, werden als Rabeneltern angesehen. Bei durchschnittlich 60 Kindern pro Klasse bezahlen viele Eltern dafür dass ihr Kind möglichst weit nach vorne gesetzt wird, damit die Kinder verstehen, was der Lehrer sagt. Je näher am Lehrer, desto teurer sind die Plätze. In einer anderen Stadt gehen wir an einer Schule vorbei, die Fenster sind offen. Wir hören deutlich, Unterricht heißt in China repetieren, der Lehrer spricht vor, 60 Kinder sprechen im Chor nach. Nach der Schule fangen für die Lehrer besonders fette Zeiten an, Nichtverstandenes wird gegen Bares im Privatunterricht für die Schüler wiederholt, deren Eltern zahlen. Nur so haben Schüler eine Chance, die vielen Prüfungen zu bestehen. Offiziell haben alle Schulen denselben Status, aber alleine die sozialen Unterschiede der Stadtviertel sorgen dafür, dass die Einkommen der Lehrer sehr unterschiedlich sind.

Xian

Pünktlich, obwohl der Zug zwei Stunden verspätet abgefahren ist, kommt der Zug in Xian an. Ein ganz junger Reiseleiter erwartet uns. Auch er spricht sehr gut Deutsch. Er hat Freunde in Deutschland vom gemeinsamen Studium in Bejing, die er nach der Olympiade besuchen will. Er erzählt viel aus seinem Privatleben, eher ungewöhlich. Wir lernen auch seine Freundin kurz kennen, mit der er zusammen eine 87 qm Wohnung bewohnt, viel Platz für chinesische Verhältnisse. Im Lauf der drei Tage hat sich herausgestellt, dass er eine wirklich gute Hand hat in der Auswahl von Restaurants. Alleine kriegen wir oft nicht, was wir wollen, auf uns oft gezeigten Fotos in den Speisekarten lässt sich z.B. oft nicht feststellen, ob es Fisch oder Fleisch ist. Englisch versteht fast niemand. Und meine Chinesisch-Kenntnisse beschränken sich auf "ni ha" (Hallo) und "pi tschu" (Bier) und wenige andere Wörter. Am zweiten Tag hat er Geburtstag und bringt uns aus diesem Anlass in ein lautes aber gutes Lokal. Das Essen ist höllisch scharf, findet er aber gar nicht.

Unser Aufenthalt in Xian ist verlängert worden, Tibet-Ersatzprogramm. Wir haben Zeit, die Maoling-Hügel zu besuchen. Xian ist eine sehr touristische Stadt wegen der Terrakotta-Armee, aber zu den Maoling-Hügeln kommen nur wenige westliche Touristen. Eigentlich sind es Pyramiden bzw Grabhügel. Hier liegen die Kaiser der Han-Dynastie begraben, unter anderem der Militärkaiser Wu Di. Seine Rolle kann man vergleichen mit der von Cäsar im Römischen Reich. Er hat etwa 200 v. Chr das noch junge Reich enorm vergrößert. Seine Generäle haben den Westen erobert und die Seidenstraße begründet.

Xian war bis zur Mongolenherrschaft chinesische Hauptstadt. Hier begann die Seidenstraße. Eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten ist der Fund der Kleinen Terrakotta-Armee in einem der Grabhügel. Teile davon sind in einem Museum ausgestellt.


Der nächste sehr schweißtreibende Programmpunkt ist die Besteigung der Huanshan Berge. Östlich von Xian steigen sie bis auf über 2000 m an. Auf einer Autobahn geht es 170 km nach Osten, links überholen ist eine Spezialität des Fahrer, dann per Bus 30 km auf einer engen Bergstraße zu einer Seilbahn, nagelneu importiert aus Österreich. Sie bringt uns auf 1500 m Höhe. Es ist Samstag und Massen von Menschen haben dieselbe Idee wie wir. Alle quälen sich über steile Treppen aufwärts, auf denen oft nur einer Platz hat (Gegenverkehr !). Links und rechts geht es senkrecht nach unten. Den Nordgipfel haben wir geschafft, den 2100 m hohen Südgipfel nicht mehr. Mein Asthma macht sich bemerkbar. Wieder im Tal fallen wir zu einer völlig unchinesischen Stunde um 15 Uhr in einem Lokal ein und kriegen sogar noch etwas zu essen. Die Lokale auf dem Berg sind sehr teuer, Träger schleppen alles nach oben.

Schließlich haben wir dann doch noch die Highlights von Xian angeschaut, z.B. die 14 km lange Stadtmauer, sie wirkt wie eine Miniaturausgabe der Großen Mauer. Man kann sie der vollen Länge nach mit dem Rad befahren. Es war ein bischen holprig, aber hat tolle Perspektiven auf die Stadt. Selbstverständlich haben wir dann doch noch die Terrakotta-Armee besichtigt. Es war verglichen mit meinem ersten Besuch dort erstaunlich leer. Unser Reiseleiter hat sich viel Zeit genommen für die Erläuterungen, auch das viel besser als bei meinem ersten Besuch. Die Entstehungsgeschichte hier wiederzugeben, würde jeden Rahmen sprengen.

Da der Zug nach Lanschou erst spät fahren würde, haben wir unseren Besuch in der Stadt in einem Maultaschen-Restaurant abgeschlossen, die geschmackliche Vielfalt ist erstaunlich, aber ohne die Hilfe unseres Guide hätten wir sie nicht erschließen können. Der Besuch eines solchen Restaurants gehört einfach zu einem China Besuch. Für Nachahmer, das riesige Restaurant liegt direkt am Glocken- und am Trommelturm.

Lanschou

Frühmorgens, Lanschou ist "nur" 600 km von Xian entfernt, steigen wir übermüdet aus dem Zug. Die bisherigen späten Ankunftzeiten haben bewirkt, dass man das Programm in der nächsten Stadt relaxt angehen konnte. Das ist hier nicht so. "Peter" holt uns ab, seinen richtigen Namen verrät er uns nicht. Er macht uns Vorschläge für unseren ersten Tag. Er kennt über das Reisebüro unseren Ärger wegen des ausgefallenen Tibet-Besuch und schlägt uns vor, mit dem Auto nach Xining in der Nachbarprovinz Qinghai zu fahren. Dort gäbe es zwei tibetische Klöster, die wir besuchen könnten, eines davon sei sogar eins der sechs wichtigsten Klöster des tibetischen Buddhismus überhaupt. Wir könnten dann wenigstens einen Eindruck von dieser Kultur mit nach Hause nehmen. Wir willigen trotz der Aussicht auf weitere 600 km im Auto ein. Peter war ebenso wie unser Reiseleiter in Xian in Tibet gewesen. Beide waren sehr beeindruckt von der Kultur und haben fast gleichlautend betont, dass Tibet wirklich anders sei als das übrige China. Allerdings steht für sie außer Frage, dass Tibet zum chinesischen Staat gehört und Tibeter kein Recht haben, Han-Chinesen zu töten weil sie Chinesen sind, wie es während des Aufstandes im März passiert ist. Unsere Guides waren sehr vorsichtig in ihren Antworten, aber dass die chinesische Regierung in der Auseinandersetzung keine gute Figur gemacht hat und der Dalai Lama souverän mit den Weltmedien umzugehen versteht, diese Auffassung haben alle geteilt.

Das erste Kloster liegt auf einer Höhe von 2000 m, der Frühling ist hier noch nicht richtig angekommen Ende April. Der Bau aus Holz ist der Verbotenen Stadt in Bejing nachempfunden und soll darstellen, dass der tibetische Buddhismus über China und nicht direkt aus dem südlich angrenzenden Indien nach Tibet gekommen ist. Eigentlich ein angenehmer Ort, ein sehr stiller Ort. Aber dann kommt es zu einem Zwischenfall: Meine Frau fotografiert sehr gerne und viel, aber in geschlossenen Räumen ist es in diesem Kloster verboten. Sie hält sich daran, fotografiert aber in einem halboffenen Zwischengang. Wütend stürzt sich ein Mönch auf sie, attackiert sie und will ihr die Kamera wegnehmen. Peter und ich gehen dazwischen, der tibetische Mönch in seiner dunkelroten Robe ist sehr aggressiv. Wir können ihn anhand des Review-Schalters der Kamera überzeugen,  dass kein Bild in geschlossenen Räumen aufgenommen wurde. Buddhismus tibetischer Prägung scheint eine strenge finstere Angelegenheit zu sein. Nicht gewalttätig zu sein ist meiner bescheidenen Kenntnis nach doch ein grundlegendes Merkmal des Buddhismus. Die Gesichter der Mönche in Thailand, Kambodscha und Vietnam hatten immer einen freundlich distanzierten Ausdruck, die Gesichter der tibetischen Mönche dagegen sind ziemlich verbiestert.

Das zweite Kloster Kum Bum hat sehr viel mehr Besucher. Es ist eines der sechs zentralen Klöster des tibetischen Buddhismus. Vier gibt es in Lhasa, eins in Shigatse, also in Tibet selbst. Ein weiteres liegt sehr abgelegen in der Provinz Gansu. Dort und in der Provinz Qinghai gibt es tibetische Minderheiten. Überall riecht es nach Yak-Butter. Sonst werden Räucherstäbchen angezündet, hier gibt es richtige Räucheröfen.

Gelbmützen Mönch mit Bierkarton

Eine alte Frau mit einem langen Zopf, den sie mit Yak-Butter eingefettet hat, ist am Ziel ihrer Pilgerreise angelangt. Zusammen mit vielen anderen Frauen wirft sie sich vor der Haupthalle der Pagode auf den Boden, Gesicht nach unten, auch sehr junge Frauen sind darunter. Normalerweise betreten die Gläubigen, so habe ich es Angkor und anderswo beobachtet, eine Pagode, indem sie sich kurz verneigen und die Hände gegeneinander legen. Auf den Boden geworfen hat sich niemand. Die Szene im Kloster Kum Bum hat mich in ihrer Unterwerfungsgeste sehr abgestoßen. Nur Frauen liegen auf dem Boden, die wenigen männlichen Besucher verneigen sich stehend mit erhobenen Händen, die Hände gegeneinandergelegt, die Mönche sitzen im Gebäude und singen zu alledem ihren eintönigen Sprechgesang. Auf der langen Rückfahrt wird uns im Gespräch mit Peter deutlich, dass gerade weil das Land einsam ist, sein Charakter archaisch und antimodern ist, Tibet auch unter Chinesen gur für einen Mythos ist. Der extrem materialistische Charakter der chinesischen Gesellschaft scheint einen solchen Mythos genauso zu brauchen wie es in Europa der Fall ist.

Lanschou galt lange als die dreckigste Stadt in China. Sie liegt am Huang He(Gelber Fluss), der von hier aus in einem riesigen Bogen durch die Lößberge von Yünan fließt bevor er die nach ihm benannte Ebene erreicht. Er ist so etwas wie der Schicksalsstrom Chinas, hat mehrfach seinen Lauf geändert verbunden mit gewaltigen Überschwemmungen und Millionen von Toten. Die fruchtbare Tiefebene, die er aus dem angeschwemmten Löß gebildet hat, leidet heute unter Auszehrung, es hat im Norden von China in den letzten Jahren viel zu wenig geregnet. Das Wasser des Flusses wird zu intensiv genutzt. Aber in Lanschou ist der Fluss noch ein ganz normaler. Immerhin hat Lanschou heute etwas bessere Luft trotz der immer noch sehr zahlreichen Fabriken, aber außer einem schönen Museum und einer Hochhaussilouette, die aber jede der vielen Millionenstädte hat, wenig zu bieten. Der angenehmste Ort ist die sogenannte weiße Pagode hoch über dem Fluss. Die Pagode selbst ist klein und nicht sehr interessant, aber um sie herum gibt es ein Ausflugslokal mit einer prächtigen Sicht über die Stadt. Man kann dort wunderbar entspannen.

90 km entfernt ist 1972 am Huang He der erste in Eigenregie gebaute chinesische Staudamm gebaut worden, Man ist sehr stolz auf ihn. Wir haben dorthin eine weitere Tour unternommen und sind mit dem Wassertaxi über den Stausee zum nach Binglisi gefahren.

Der Ort gehört wie Dazu und Mogao in die Reihe der Höhlenklöster des chinesischen Buddhismus. Sie alle liegen in exponierter Lage an abgelegenen Orten, in Binglisi war der wichtigste Übergang der Seidenstraße über den Fluß. Kaufleute und Reisende haben sich hier Zuspruch für die gefährliche Fahrt nach Westen geholt. Auch Binglisi ist ein sehenswerter Ort. Aber das beste an dieser Tour war ein Restaurant in einem kleinen Ort an der Strecke, das Peter ausgesucht hat. Seine kulinarischen Kenntnisse hat er trefflich unter Beweis gestellt. Das leckerste Gericht war mariniertes Rindfleisch in heißer Karamelsoße, die chinesische Küche ist wirklich äußerst phantasievoll.

Dunhuang

Harmonie, das oberste Prinzip des Konfuzianismus, hat die Partei zur Staatsdoktrin erklärt. Vielleicht muss sie das tun, denn Extreme gibt es in diesem Land genug. War die Umgebung von Lanschou schon sehr trocken, so schauen wir am Morgen nach unserer Abfahrt aus dem Zugfenster in ein graues diesiges Nichts. Der Zug fährt durch eine öde Wüste. Man könnte meinen, es wäre neblig, dabei ist es Staub, der die Luft trübt. Was für ein Kontrast zum üppig wuchernden tropischen Südchina. Wir nähern uns Dunhuang, einer kleinen Stadt, die aber jeder in China kennt. Sie war lange Zeit der westlichste Endpunkt des chinesischen Reiches, die Seidenstraße verließ hier endgültig die chinesische Zivilisation. Kaufleute und Soldaten holten sich in den Mogao-Höhlen seelischen Beistand für die Reise zu den westlichen Barbaren. Ich bin zum zweiten Mal, einmal hätte genügt.

Der Ärger fing an mit dem Hotel. Unser gebuchtes Hotel würde gerade renoviert, also müssten wir in ein anderes gehen, dass sei aber ganz neu. Neu war es, bloß war es schlampig gebaut nach den Motto, nach Dunhuang kommen die Touristen sowieso. Beim Duschen lief das Wasser vors Klo, wir mussten den Boden vor der Benutzung wischen. Dazu nahmen wir eins der Handtücher, dass sollten wir dann wegen zu starker Beschmutzung bezahlen. Wir weigerten uns. Zum Frühstück gab es Milch und Reissuppe, keinen Kaffee oder Tee. Im angeblich zu renovierenden Hotel, wir waren dort bei unserem letzten Besuch untergebracht, herrschte reger Betrieb, von Renovierung keine Spur, aber es war zum Vier-Sterne Hotel hochgerubelt worden, wir hatten aber nur drei Sterne gebucht.

Aber was solls. Wir gehen bei schönstem Wetter zu den riesigen Dünen am Stadtrand, der Mondsichelsee mit seinem taoistischen Tempel liegt in ihnen versteckt. Es ist der 1.Mai und viele Leute machen einen Ausflug hierher, der Eintrittpreis ist horrende. Selbst für die Benutzung einer Holztreppe auf eine Düne hinauf müssen wir extra zahlen. Wir wollen zum Mondsichelsee hinablaufen, werden aber von unten von einem Wächter per Megafon angeschissen. Herunterlaufen ist an dieser Stelle verboten, sie wollen verhindern, dass der See durch Leute wie uns versandet. Wir laufen in einem weiten Bogen zur großen Oase zurück, in der Dunhuang selbst liegt. Kurz vor dem Erreichen scheißt uns ein zweiter Wächter an, er soll wohl verhindern, dass Leute ohne Ticket von hinten in den Dünenpark hineinlaufen. Auf der Düne über uns stehen viele Leute, manche rutschen den Sand hinab, kriegen dann einen doppelt mächtigen Anschiss. Wir laufen zurück zur Bushaltestelle durch die gepflegte große Oase, hier wachsen viele kleine Bäume und Baumwollpflanzen unter Plastikplanen. Wir sehen die Heimatställe der Kamele, die sonst die Touristen durch den Sand tragen dürfen. Zum Ausklang dieses Tages gibt es dann wenigisten leckere Spieße vom Grill auf dem Jahrmarkt zum 1. Mai. der in China eine ganze Woche lang gefeiert wird.

Der Besuch der Mogao-Grotten am nächsten Tag wäre fast ausgefallen, da wieder ein Sandsturm tobt. Nach einer Stunde warten wird der Besuch freigegeben. Die ursprünglich offenen Höhlen mit ihren biszu 36 m hohen Buddhastatuen sind komplett unter Verschluss. Die Türen werden nur kurz durch eine Führerin geöffnet, sie haben Taschenlampen, man kann dann kurz einen Blick auf die Statuen und die hervorragend erhaltenen Wandmalereien werfen, die auch in China einzigartig sind. Da die Führer immer aufs Tempo drücken und immer nur einen Teil der Höhlen öffnen, ist die Besichtigung keine sehr entspannte Angelegenheit ganz im Gegensatz zu unserem Besuch in Dazu und Binglisi. Den Sand- und Staubstürmen haben die Statuen und Wandmalereien ihre Vollständigkeit zu verdanken, denn sie waren zugeweht, als europäische "Entdecker" nach ihnen gesucht haben. Allerdings gab es hier auch eine sehr wertvolle Bibliothek. Sie befindet sich jetzt in Frankreich, da ein geldgieriger Mönch sie an einen Franzosen verkauft hat.

Wir checken aus unserem tollen Hotel aus, unser Zug nach Turfan fährt erst um 23 Uhr. Zeit genug, um eine weitere Tour in die Wüste machen. Wir fahren zum Jade-Tor-Pass. Er liegt in einer flachen Wüste im Übergang der Wüsten Gobi und Taklamakan. Hier befinden sich die westlichsten Reste der chinesischen Mauer aus der Zeit der Han-Dynastie. Hier teilt sich die Seidenstraße in eine Nord- und eine Südroute entlang der Wüste Taklamakan. In der der Nähe des Tores befindet sich noch ein Signalturm und eine alte Militärfestung. Wir haben noch Zeit und fahren auch noch zum Südpass. Dort ist außer einem alten Turm nichts mehr erhalten, aber inzwischen gibt es dort ein gutes Museum, dass einem General gewidmet ist, der für den Kaiser Wu Di in dieser Region die Hunnen vertrieb und die Seidenstraße sicherte. Die Hunnen zogen dafür nach Europa und machten dem Römischen Reich zu schaffen. Globalisierung antik.

Zurück in Dunhuang holt unser Reiseleiter unsere Fahrkarten nach Turfan ca. drei Stunden vor Abfahrt des Zuges. Das ist verwunderlich, denn alle anderen örtlichen Reiseleiter hatten die Fahrkarten für den nächsten Reiseabschnitt schon bei unserer Ankunft in der Tasche.  Normalerweise, da es in China immer noch kein zentrales Reservierungssytems gibt, haben sie die Fahrkarten frühestens vier Tage vor der Abfahrt kaufen können durch anstehen. Die Plätze vor allem im Soft-Sleeper sind pro  Bahnhof limitiert. Unser Guide erläutert uns wortreich, wie schwierig es sei, solche Fahrkarten zu kriegen. Unser ursprünglich vorgesehene Zug ab Dunhuang selbst führe nicht, sagt er, das sei ein reiner Touristenzug und es sei keine Saison. Deswegen sitzen wir nochmal 120 km im Auto und werden zur Bahnstation Liuyan gebracht. Fahrer und Reiseleiter verabschieden sich ganz schnell, üblich war es, das wir zum Zug gebracht wurden. Der Zug ist ein Fernzug, der fast ganz China durchquert von Hengshou an der Pazifikküste bis nach Urumtschi, der Hauptstadt der Provinz Xinxiang. Der Zug hält nur zwei Minuten, dann kommt die böse Überraschung, unsere Plätze waren zweimal verkauft worden. Zwei chinesische Männer haben dieselben Fahrkarten. Den Waggonschaffnern ist die Sache peinlich (Europäer), sie räumen für die beiden Männer mit denselben Pläzen ihr eigenes Abteil. Wir geben unserem Reiseleiter im nachhinein den Namen Halodri.

Turfan

Nachdem wir gerademal um halb eins zum Schlafen gekommen waren, werden wir um 5 Uhr schon wieder geweckt, um 5.30 Uhr ist der Zug schon in Turfan etwa 700 km weiter. Noch im Dunkeln sind wieder 70 Autokilometer angesagt, die Bahnstation ist weit entfernt von der Stadt. Sie liegt in einer tiefen Senke, deren tiefester Punkt 240 m unter dem Meeresspiegel liegt. Nur das Tote Meer liegt noch tiefer. Hier fängt das Wohngebiet der Uiguren an, der großen moslemischen Minderheit in Nordwestchina, der Provinz Xinxiang. Von jetzt an sind die Kopftücher der Frauen prägend im Straßenbild..

Nachdem wir erstmal ein paar Stunden Schlaf nachgeholt haben, beschließen wir, auch hier noch eine Tour zu machen. Wieder 200 km, wir sind richtige Kilometerfresser geworden. Wir besuchen Jiohe, eine Ruinenstadt am Rande von Turfan, dann das Karez Wassersystem mit seinen Tunneln, sehr sehenswert.

Bis heute wird so Wasser aus dem Tienshan-Gebirge in die Senke geleitet ohne jede Pumpe. Leider ist der begehbare Teil seit meinem ersten Besuch völlig touristisiert worden, die Besichtigung ist eine einzige Nepp-Parade. Weiter weg liegt ein Uigurendorf mit Buddhahöhlen in einem Seitental. Sie sind uns aber doch zu weit weg. Immerhin können wir bei einem Rundgang die Unterschiede zu den Dörfern nahe Guilin studieren. Dann besuchen wir noch die in ihren Ausmaßen gigantische Ruinenstadt Gauchang und die Astana Gräber. Wieder mal völlig erschöpft, fallen wir abends ins Bett. Wenigstens können wir am nächsten Tag ausschlafen. Turfan selbst ist eine einzige staubige Baustelle. Alle Straßen im Zentrum sind gleichzeitig aufgerissen worden, um die Kanalisation zu erneuern.

Gegen zwei Uhr Mittags treten wir unsere letzte lange Bahnetappe an. Wir hätten auch mit dem Zug direkt nach Kasachstan fahren können, aber das habe ich 2004 zusammen mit meinem Sohn schon gemacht und fand die Strecke durch die Dsungarische Pforte nicht so spannend. Also fahren wir nach Kaschgar, der westlichsten Stadt in China, nicht allzu weit weg von Pakisstan und Afganistan. Von dort aus wollen wir mit dem Auto nach Kirgistan fahren, das Hochgebirgsland auf einer sehr schönen Route durchqueren bis nach Almaty in Kasachstan. Irenes Urlaub wäre dann zu Ende, sie sollte von dort nach Hause fliegen. Es sollte anders kommen.

Aber zunächst fahren wir in einem Zug mit Doppelstockwaggons durch eine gewaltige Gebirgslandschaft. Die öde schwarz-braune Wüste im Turfanbecken bleibt zurück. Schneeberge kommen in Sicht, Flüsse, die reichlich Wasser führen, Pferde, Kamele und Schafe weiden an der Strecke. In langen Schleifen gewinnt der Zug in einem Hochtal an Höhe, der Scheitelpunkt der Strecke bei 3000 m. Am nächsten Morgen zieht sich linker Hand ein langgestreckter Saum von Bäumen am Horizont entlang, sie markieren eine Flußoase, rechter Hand erheben sich die kahlen Südhänge des Tienshan. Wir fahren entlang der Nordroute der Seidenstraße. Gegen 10 Uhr ist der Zug in Kaschgar, hier endet die Strecke.

Kaschgar

Unser lokaler Reiseleiter ist Uigure wie 90% der Bewohner Kaschgars. Der chinesische Bauwahn tobt sich auch in dieser Stadt aus, aber die chinesische Modernität wirkt doch sehr aufgesetzt. Kaschgar ist wirklich sehr moslemisch, es gibt hier nicht nur die allgegenwärtigen Kopftücher, man sieht sogar Frauen in Burkas, also Ganzkörperverhüllung wie in Afganistan. Das hatte ich in China nicht erwartet. Die Altstadt von Kaschgar ist das Zentrum des moslemischen Lebens, ihr Basarcharakter erinnert stark an Städte des Mittleren Osten. Unser Mann ist ein sehr sachkundiger Führer, wir reden lange über Minderheiten, Demokratie, Europa, China und die USA. Die Uiguren in Guantanamo erwähne ich, erkennt die Bedeutung dieses Ortes nicht, versteht aber sehr gut, dass die dort freigelassenen uigurischen Gefangenen nicht nach China zurück wollen. Er besteht darauf, dass wir den Inhalt unserer Unterhaltung keinem Chinesen erzählen, "Keep it as a secret". Aber eine chinesische Freundin hat er. Sie betreibt in einer Markthalle einen Verkaufsstand und scheint sehr geschäftstüchtig zu sein. Aber meine Frau bleibt standhaft und kauft nichts. Danach haben wir das Gefühl, dass unser Mann etwas verschnupft ist. Immerhin erklärt er uns noch, dass eine Heirat mit ihr nicht in Frage kommt, seine Familie würde sie nie und nimmer akzeptieren. Uiguren verachten Chinsen, vor allem weil sie Schweinefleisch und andere grauslige Dinge essen. Er hat uns in zwei gute Restaurants geführt, Alkohol gab es dort keinen, das Essen erinnert genau wie die Sprache an das Türkische. Es gibt viel Jogurt, Lammfleisch und Pilaw-Reis.

An Sehenswürdigkeiten hat Kaschgar außer seiner Altstadt nicht so viel zu bieten. Am eindrucksvollsten ist noch das Apak Haja Mazar, ein imposantes Gebäude eines moslemischen Herrschers aus dem 16 Jahrh., in dem aber auch eine uigurische Geliebte eines chinesischen Kaisers ruht. Ihr Leichnam wurde von Bejing hierher umgebettet. Schließlich gibt es noch eine Moschee mit 4000 Plätzen. Wir dürfen nicht hinein, angeblich wird sie renoviert.

In einem Jeep brechen wir auf über eine Schotterstraße zur kirgischen Grenze. Eine hypermoderne Grenzabfertigung noch weit unten im Tal verabschiedet uns von China. Sie öffnet erst um 11 Uhr allerdings Pekinger Zeit, gefühlt ist es 8 Uhr morgens. Der Grenzer hat einen elektronischen "Evaluator", "How are you satisfied with my service, time, friendliness, etc.", bitte Knopf drücken. So etwas hätte ich mir an der vietnamesischen Grenze gewünscht. China verabschiedet sich korrekt und freundlich. Die anschließende Fahrt zum Tourgut Pass gibt einen Vorgeschmack auf Kirgistan und seine Landschaft. Hoch geht es ohne Serpentinen. Aber die Organisation klappt hervorragend, die Passhöhe liegt auf 3500 m Höhe, dort ist es lausig kalt. Nach 20 min ist der kirgischische Jeep da, liefert ein dänisches Ehepaar bei unserem Reiseleiter ab und nimmt uns mit.