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Argentinien

Argentinien ist ein weißes Land, dass fällt als erstes auf wenn man aus Bolivien einreist. Ich hatte ganz spontan das Gefühl, wieder in Europa zu sein, nachdem ich die Grenze überquert hatte. Argentinien ist ein gelassenes Land, es dauert eine ganze Weile, bis sich jemand aufregt. Das erstaunt, denn Gründe dafür gibt es genug. 40% der Argentinier sind italienischer Herkunft, ich hatte mir ihre Mentalität eher italienisch vorgestellt. Dem war aber nicht so. Allerdings schlägt die Gelassenheit manchmal um in eine ausgesprochene "komm ich heut nicht, komm ich morgen" Haltung, die die Organisation meiner Reise manchmal erschwert hat.

So sollte mich in Villason, dem bolivianischen Grenzort und Endpunkt der Bahn ein guia aus Argentinien abholen und durch die Grenze schleusen. Er war aber nicht da. Villason ist nicht gerade ein angenehmer Ort, man wird belagert von schrägen Typen, die einem Fahrkarten für die Weiterreise verkaufen wollen und ziemlich penetrant sind. Der argentinische Zöllner begrüßt mich mit den Worten, nachdem er in meinen Pass geguckt hatte, "you know, I hate Germans". Argentinier sind nette Leute, der Spruch war natürlich ein Scherz, aber Deutschland hatte eben bei der letzten WM Argentinien rausgekantet und argentinische  Zöllner haben ein langes Gedächtnis. In der Warteschlage an der Grenze hat mich dann auch ein etwas schmieriger Typ angesprochen. Es ist mein guia. Er entschuldigt sich kurz wegen der Verspätung, drückt mir am Busbahnhof  vereinbarungsgemäß mein Ticket nach Salta in die Hand und verschwindet wieder.

Salta

Von Salta wollte ich eigentlich eine Tour mit mit dem Tren las Nubes fahren, eine weitere spektakuläre Bahnstrecke, die hoch in die Anden führt. Der Zug fährt aber nicht, die Gründe bleiben unklar. Auch ein stattdessen angekündigter Schienenbus fährt nicht. Und so sitzen wir ersatzweiseweise zu viert in einem engen PKW und schauten uns die spektakuläre Strecke von der staubigen Straße aus an, einer Hauptverbindung zwischen Argentinien und Chile. Offenbar war alles, was vorher mit der Bahn transportiert wurde mit LKWs unterwegs, die natürlich mächtig Staub aufwirbeln.

Salta ist eine sehr geruhsame Stadt, sie hat eine schöne koloniale Altstadt. Die Unruhen im 600 km entfernten Bolivien sind hier weit weg. Von hier ging die Reise südwärts weiter nach Tucuman durch eine sehr interessante landschaftlich völlig unargentinische Gegend am Ostrand der Anden entlang bis nach Cafayate. Dort liegt das zweitgrößte Weinanbaugebiet Argentiniens. Das Land ist einer größten Weinproduzenten der Erde. Rotwein gehört zum argentinischen Wohlbefinden genauso wie Rindersteaks. Warum argentinischer Wein hierzulande kein großes Renomee hat, verstehe ich nicht. Mir hat er gut geschmeckt.

San Miguel de Tucuman

San Miguel de Tucuman ist deutlich größer als Salta und liegt am Nordrand der riesigen Pampa. Von hier bis nach Patagonien ist die Landschaft bretteben und sehr grün. Anfang Dezember hat der dort schwülheiße Sommer voll eingesetzt. Von jetzt an sollte ich bis Mitte April in Nordwestchina mit nur einer kurzen Unterbrechung in Nordpatagonien Hitze satt abgekommen. Es war fast immer über 30 Grad und z.T. sehr schwül. Immer nur Sommer zu haben kann ganz schön langweilig sein.

Tucuman ist keine Touristenstadt, sondern das Zentrum eines riesigen Zuckerrohranbaugebiets. Der intensivste Eindruck der Stadt ist verbunden mit einem Rock-Konzert auf dem zentralen Platz. Ein mir bis dato unbekannter argentinischer Musiker namens Leon Griego hat mich und die Menge begeistert. Er ist ein ausgesprochen politischer Musiker und hat zu seinem Konzert auf einer großen Leinwand Ereignisse der jüngeren südamerikanischen Geschichte eingeblendet als Bezug zu seinen Songs. Es war der Tag der Menschenrechte, gleichzeitig wurde an diesem Tag Cristina, la presidente, in ihr Amt eingeführt. Der Hotelportier begrüßte mich mit den Worten "Hoy es una grande dia para Argentina". Jeder Fernsehkanal zeigte die Stabübergabe von ihrem Vorgänger und Ehemann Nestor Kirchner an seine Ehefrau. Es sieht aus wie die Übergabe eines Zepters bei gekrönten Häuptern. Kirchner hatte das Land aus der Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2001 herausgeführt, indem er schlichtweg die Auslandsschulden nicht mehr bedient hatte. Die Präsidialmacht bleibt in der Familie, die Argentinier haben große Erwartungen an Cristina.  

Mit einigen Mühen bin ich an die Fahrkarten für meine Weiterreise mit dem Zug nach Buenos Aires gelangt. Die junge Dame, die sie mir bringen sollte, war nicht erschienen. Später traf ich sie auf der Straße, sie begrüßte mich mit Küsschen und schob mich ins Hinterzimmer eines Frisörsalons. Dort bekam ich meine Fahrkarte. Am nächsten Tag stellte sich heraus, es war die falsche. Sie hatten mir Tourista statt Pullman gegeben. Die Karten wurden nochmal ausgetauscht. Schlampigkeit kann sehr charmant sein.

Und so sitze ich dann in der Pullmann-Klasse im Zug von Tucuman nach Buenos Aires, der zweimal wöchentlich fährt. Die Sitze sind groß, drehbar und mit grünem Kunstleder bezogen. Man klebt auf ihnen fast fest, weil man unaufhörlich schwitzt. Es gibt keine Klimaanlage, alle Fenster sind weit offen. An der Decke rattern Ventilatoren. Das Gefährt dürfte etwa 40 bis 50 Jahre auf dem Buckel haben. Vor den Fenstern kann man luftdurchlässige Metalljalusien herunterziehen. Die Fahrgäste müssen sie bei der Durchfahrt durch die Vororte der großen Städte schließen, zu gerne werden Steine auf die Züge geschmissen. Der Zug fährt dort durch Elendsquartiere, überall brennt Müll. Elend scheint sich in den sogenannten Entwicklungsländern interessanterweise entlang von Bahntrassen zu konzentrieren. Später habe ich das auch in Asien beobachtet.

Die Nacht im Zug ist erträglich, aber am nächsten Tag ist das Innere sehr staubig. Wir fahren durch die unendliche Pampa. Nach 27 Stunden für 1190 km bei zwei Stunden Verspätung treffen wir am Retiro -Bahnhof in der "capital federal" ein. Ein Bus schafft die Strecke in 14 Stunden, aber ich fahre eben lieber mit der Bahn. Dabei hatte Argentinien mal das beste und ausgedehnteste Bahnnetz in Südamerika. Der neoliberale Präsident Menem hatte, nachdem die Privatisierung des Netzes mangels Investoren nicht realisierbar war, den Provinzen die Verantwortung für die Bahn zugeschoben. Der Personenverkehr wurde daraufhin bis auf wenige Strecken eingestellt. Eine große Rolle spielt nur noch der Vorortverkehr in Buenos Aires. Aber auch dort sind die Züge sehr betagt und haben bessere Zeiten gesehen.

Buenos Aires

Das trifft auch auf Buenos Aires zu. Die Stadt hat wie das ganze Land bessere Zeiten erlebt. Sie ist sicherlich mit ihren 12 bis 13 Mio. Einwohnern inklusive Vorstädte ein Moloch, aber ein angenehmer Moloch. Da ich hier über Weihnachten meine Familie treffen wollte, hatte ich genug Zeit für die Stadt. Ihre Gründerzeit hatte sie gegen Ende des 19 Jahrh. erlebt, ihr Wachstum dem gigantischen Boom der Agrargüter zu verdanken. Ihre Einwohnerzahl ist genau in derselben Zeit explodiert wie in Berlin. Aber heute ist sie dreimal so groß wie Berlin und eine Stadt der "Dritten Welt", deren Bewohner alles tun, ihren Stolz und ihre Würde zu wahren. Die großartigen Fassaden der Gründerzeit haben Patina angesetzt, sind teilweise dem Verfall preisgegeben. Dabei hat die Stadt anders als Berlin keinen Krieg erlebt. Überall hat eine chaotische Planung der späteren Jahrzehnte Hochhäuser zwischen die Gründerzeitbauten geschoben. Um den alten Hafen herum wurde ein mondänes "Wohnen am Wasser"-Viertel  mit schicken Restaurants und Jachten im Hafenbecken gebaut.



So richtig Charme entfaltet die Stadt  vor allem in San Telmo. Es gibt dort noch die meisten alten Fassaden, nette Kneipen, Theater, Straßenfeste und viel Atmosphäre. Obwohl zentral gelegen, geht es ruhiger zu als im benachbarten San Nicolas, dem hektischen Regierungs- und Geschäftsviertel mit seiner Fußgängerzone, Kaufhäusern und Banken. Die Straßen sind dort häufig verstopft, da rund um die Casa Rosada, dem Präsidentenpalast fast täglich Demonstrationen stattfinden. Durch San Nikolas verlaufen auch die Hauptzufahrtsstraßen zum Hafen, ein ewiger Mega-Stau. Aber erstaunlich ist wirklich,mit welcher Ruhe die portenos, die angeblich so arroganten Bewohner von Buenos Aires, das aushalten.

Weniger gefallen hat mir das angeblich so kultige und schicke Palermo-Viertel. Sicher gibt es dort viele trendige Bars und Restaurants, aber mir stehen da einfach zu viele Hochhäuser.

Erwähnenswert ist sicherlich noch das La Boca-Viertel, angeblich ist der Tango dort entstanden. Neben dem Stadion von La boca Juniors, dem Club von Diego Maradona, gibt es ein paar Straßenzüge mit grell angemalten Wellblechhäusern. Alles ist so extrem kitschig, dass es richtig schön ist. Alle Touristenbusse werden ohne Ausnahme dorthin gebracht, aber wenn sie weg sind, ist la Boca das was es immer war, eine heruntergekommene arme Hafenvorstadt. Bloß heute liegen in diesem Teil des Hafens nur noch ein paar Wracks.  

Ich habe auch einen Ausflug nach Colonia in Uruguay gemacht, eine Stunde von Buenos Aires entfernt zu ereichen mit der Schnellfähre über den Rio de la Plata. Das ist ein altes nettes Kolonialstädtchen gegründet von den Portuguisen und damit ein ziemlicher Kontrast zu Buenos Aires. Der Ausflug war sehr entspannend, allerdings hatte ich dann Ärger mit dem Zoll von Uruguay bei der Ausreise, weil die Fährgesellschaft vergessen hatte, mir irgendein blödes Papier zu geben. Ich durfte dann 22 Dollar für ein Ersatzpapier zahlen.

Zu Weihnachten und Neujahr war ich dann mit meiner Familie verabredet. Wir hatten uns für die Tage in Pinamar ca. 400 km südlich von Buenos Aires in einem Hotel direkt am Atlantik eingemietet. Eine Woche vor Ankunft meiner Lieben erfahre ich dann, dass das Hotel geschlossen ist und der Besitzer sich mit dem von uns überwiesenen Geld aus dem Staub gemacht hat. Großer Ärger! Das argentinische Reisebüro hat uns dann ein Ersatzquartier besorgt, mir aber keine Unterlagen darüber geschickt. Ich bin ziemlich entnervt und zum ersten Mal richtig sauer auf die Reiseorganisation. Ich kriege eine Beruhigungsmail, miete ein Auto und hole meine Lieben vom Flughafen ab. Im Ersatzquartier in Pinamar lagen dann die Unterlagen. Es ist ein Apartment-Hotel ohne Klimaanlage, recht eng für vier Erwachsene. Den Ozean sieht man durch das Gerippe anderen Apartment-Baus, dessen Weiterbau gerade ruht.  Aber die Leute im Ersatzquartier sind sehr nett, Alternativen hätte es sowieso nicht gegeben, Weihnachten und Neujahr ist an der Küste absolute Hochsaison. Das geschlossene Hotel habe ich mir dann angeschaut, es gingen Leute raus und rein, trotz zugezogener Vorhänge war es doch nicht so ganz geschlossen. Gegen den Besitzer läuft jetzt ein Strafverfahren.

Pinamar ist ein beschauliches Seebad mit einem riesigen Strand, ausgedehnten Dünen und vielen schicken Villen. Auch diese haben bessere Zeiten gesehen, viele stehen leer und zum Verkauf an. Genervt hat eigentlich nur ein Strandclub in akkustischer Nähe unserer Unterkunft. Vom 30. Dez. an hat sich dort bis morgens um 8 Uhr eine Art argentinischer Ballermann abgespielt. Aber das soll es ja auch in anderen Seebädern geben. Die Temperaturen waren immer über 30 Grad, das Wasser warm, wir haben uns erholt. Meine Kinder haben dann den 14 Stunden Flug zurück  ins trübe Europa angetreten, wie gut das ich eine Null-Flugzeug-Reise mache. Mit meiner Frau Irene habe ich dann letzte Kapitel der Südamerika-Reise in Angriff genommen.

San Carlos de Bariloche

Mit einem sehr komfortablen Nachtbus sind wir von Buenos Aires über 900 km weit nach Viedma am Rio Negro Fluss gefahren. Obwohl so viel weiter südlich gelegen, war es immer noch sehr heiß, die Menschen haben in dem sehr sauberen Fluss gebadet.

Am selben Abend haben wir dann die Reise mit dem berühmten Tren Patagonico fortgesetzt.  Der betagte Zug fährt quer durch den hier schon recht schmalen Kontinent über 800 km nach San Carlos de Bariloche. Die Landschaft ändert sich hier. Die sattgrüne Pampa endet, Nordpatagonien  ist eine karge, hügelige Steppenlandschaft. Der Wind weht hier hauptsächlich aus dem Westen vom Pazifik her, die Anden fangen den Regen auf chilenischer Seite ab, dort finden sich mit die höchsten Niederschlagsmengen der Welt, auf der argentinischen Seite kommt nicht mehr viel an. Bariloche ist ein Wintersportort mitten im nordpatagonischen Seengebiet. Das Gebiet ist sehr waldreich, erst 30 km vor der Stadt hört die Steppe auf. Bariloche soll angeblich an die Schweiz erinnern, aber der Vergleich hinkt. Sicherlich erinnert die Bauweise etwas an Orte in Graubünden. Die Umgebung hat schon etwas heimeliges. Vielleicht haben sich deswegen hier nach dem Zweiten Weltkrieg eine Reihe von Naziverbrechern mit Wissen und Duldung des damaligen Präsidenten Peron versteckt. Die Temperaturen im Sommer sind erträglich, wir haben sogar einen regelrechten Temperatursturz erlebt, von 35 Grad in Viedma bis auf 0 Grad während unserer Passage über den Nahuel Huapi See.



Wir sind noch zweimal in die Steppe zurückgefahren, um mit alten Dampfzügen zu fahren, darunter La Trochita. Von der Kleinstadt El Maiten aus versucht man die alte Schmalspureisenbahn, die ursprünglich für den Abtransport der patagonischen Wolle gebaut wurde, am Leben zu erhalten. Bevor man aber in die fauchenden Stahlrösser einsteigen kann, muss man eine lange ermüdende Busfahrt hinter sich bringen. Übrigens hat es an genau diesem Tag  in der Steppe geregnet.

Zwischen Bariloche und den chilenischen Hafenstädten Puerto Montt und Puerto Varas gibt es die sicherlich interessanteste Möglichkeit um von Argentinien nach Chile zu kommen, den Cruce de los Lagos. Man befährt mit Schiffen drei der nordpatagonischen Seen, die Strecken dazwischen werden mit Bussen oft über Waldwege zurückgelegt. Argentinien verabschiedet sich nach 5 Wochen feuchter Hitze kühl. Gleichwohl ist die Passage zwischen beiden Ländern wirklich reizvoll  und sehr zu empfehlen. Sein Gepäck braucht man beim häufigen Umsteigen nicht zu schleppen.

Chile

Der erste Ort in Chile war Peulla am östlichen Ende des Lagos de todos los Santos. Wir haben in einem alten, stimmungsvollen aus Holz gebauten Hotel übernachtet. Der Ort ist winzig, hat aber ein eigenes Wasserkraftwerk. Wald und hohe Berge umgeben ihn, die Bäume sind riesig, die Vegetation ist üppig. Wir sind im Regenwald, aber nicht im tropischen. Kühl und regenerisch sind hier die Sommer.

Die Chilenen werden in Argentinien manchmal die "Ottos" genannt, eine Anspielung auf die deutsche Herkunft von vielen Chilenen. Etwas hochmütig hatten die Argentinier in den Tagen Gründerzeitbooms auf die Chilenen herabgeblickt, als preußisch haben sie gegolten. Die Verhältnisse haben sich heute umgekehrt, der Unterschied zu den anderen Ländern Lateinamerikas könnte kaum größer sein. Chile ist ordentlich, sauber, aufgeräumt, aber auch viel reicher als die Nachbarn. Das Preisniveau ist deutlich höher als bei ihnen. Argentinier können sich einen Besuch in Chile kaum leisten. Viele führen das auf den Einfluss der "Ottos" zurück, also der deutschen Einwanderer zurück, die im südlichen Chile leben. In Puerto Varas gibt es deutsche Klubs, Feuerwehren, deutsches Bier und selbstverständlich überall "Kuchen". Dieses deutsche Wort kennt in Chile jeder.

Wir sind mit einem Mietauto von Puerto Varas nach Santiago gefahren. Die nächsten 400 km nordwärts bieten eine frappierende Landschaft. Man glaubt ständig zwischen Schleswig Holstein  und dem Schwarzwald unterwegs zu sein. Allerdings Schleswig Holstein und Schwarzwald mit Vulkanen wie dem Osorno, der als einer der gefährlichsten gilt. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Landschaft deutsche Auswanderer in ihren Bann gezogen hat. Wir haben auf dem Weg nach Norden Valdivia besucht, auch eine ursprünglich deutsch geprägte Stadt. Hier und an anderen Orten entlang der perfekt ausgebauten Autobahn, die Chile von Süd nach Nord durchzieht, sieht man die traurigen Seiten des chilenischen Wirtschaftswunders. Wellblechhäuser stehen im Dauerregen. Der Wirtschaftsboom in diesem Land kennt viele Verlierer. Chile war nach dem faschistischen Putsch des Generals Pinochet in den siebziger Jahren schließlich die Experimentierstube des neoliberalen Kapitalismus. Mit der Demokratie ist damals auch der ausgeprägte Sozialstaat zerschlagen worden. Demokratisch ist Chile wieder, sozial sicher weniger.
Wir sind weitergefahren bis Pucon. Das Städtchen liegt am Rande des schönen Vilarica Sees vor der Kulisse des gleichnamigen Vulkans. Von hier aus in Richtung der Anden erstreckt sich einer der größten Nationalparks Chiles. Man kann in einer üppigen Natur ausgedehnte Wanderungen machen und Orte besuchen, in denen Mapuche leben. Dieses Volk hat keine Hochkultur entwickelt wie die der Inka, aber sie haben die spanischen Eroberer bis ins 19. Jahrh. herausgefordert. Die Spanier nannten sie "Araukaner" und Araukanien heißt die Landschaft bis heute. Mehrfach wurden Ausrottungsfeldzüge gegen sie gestartet, in Argentinien waren sie erfolgreich, in Chile haben 17% der Bevölkerung immer noch eine Mapuche Abstammung. In der Stadt Chillan habe ich die einzige politische Demostration in Chile gesehen. Etwa 20 Demonstranten auf Fahrrädern begleitet von doppelt so vielen Polizisten forderten die Freilassung eines Mapuche-Aktivisten. Denn im Streit mit dem Staat sind die Mapuche bis heute. Es geht vor allem um Landbesitz und Entschädigungen für begangenes Unrecht der Vergangenheit.

Etwa auf der Höhe von Chillan fängt es an wieder sehr heiß zu werden. Die Landschaft verändert sich, man fährt von Deutschland nach Griechenland. Denn genauso sieht die Landschaft Chiles bis nördlich von Santiago aus. Es ist Januar, also Hochsommer, die Berge sind kahl und verbrannt, es gibt viele Olivenbäume und der Wein wächst üppig. Die einzelnen Sträucher oder Pflanzen mögen verschieden sein, es gibt z.B. deutlich mehr Kakteen als in Südeuropa, aber der Gesamteindruck gleicht dem von Kreta oder Sizilien oder Andalusien. Wie in Griechenland gibt es im Sommer große Brände, ich habe einen riesigen im Tal von Santa Cruz gesehen, einem der wichtigsten Weinanbaugebiete. Der dortige Rotwein ist sehr lecker. Firmiert chilenischer Wein in Europa häufig in der Kategorie billig, so lernt man dort edle Tropfen kennen. Empfehlenswert sind die Camenere-Weine, die nur in Chile wachsen.

Santiago war eine große Enttäuschung insgesamt. Wir haben in in einem netten, etwas plüschigen Hotel direkt neben dem Hügel und Park gewohnt, auf dem der spanische Conquistador Pedro de Valdivia  und die strenge kastilische Isabella die Stadt gegründet haben. Auf mich wirken die Bewohner Zentralchiles bis heute sehr kastilisch. Der Park ist heute  Treffpunkt von vielen Liebespaaren, wird aber, sobald es dunkel wird, zugesperrt. Dann müssen die Pärchen mit dem Restrasen Vorlieb nehmen. Am Tage wird bei Eintritt streng der Ausweis kontrolliert und der Name festgehalten.
                                             
Santiago hat eine richtige Skyline, ist äußert geschäftstüchtig, wird auch "Sanhattan" genannt. Ständig rennt trotz 35 Grad im Schatten ein Geschäftsmann im schwarzen Anzug mit Schlips und Handy am Ohr vorbei. Man versucht krampfhaft ein Viertel zum "Boheme-Viertel" aufzumotzen, aber das kann nicht darüber wegtäuschen, dass die Stadt noch nicht mal ansatzweise den Charme von Buenos Aires zu bieten hat. Überhaupt machen die Chilenen einen eher traurigen Eindruck, obwohl es den meisten von ihnen besser geht als den anderen Südamerikanern. Chile ist ein sehr sicheres Reiseland, aber irgendetwas scheint die Leute zu bedrücken. Mir sind z.B. viele übergewichtige Menschen aufgefallen wie es sie auch im großen Vorbildstaat  USA  gibt. Lange habe ich über der Frage gegrübelt, woran das liegen könnte. Ich kann nur spekulieren, aber es muss eine späte Folge der Pinochet-Diktatur sein, die nach seinen Worten die Demokratie in Blut badete. Das Land wurde zum Experimentierlabor der "Chicago-Boys", die hier ihr Konzept der reinen Marktwirtschaft ausprobierte. Diese pure Form des Kapitalismus hat eine Menge Reichtum hervorgebracht. Wenn man leben will, muss man sich ein Stück davon erkämpfen. Eine Menge Lebensqualität geht dabei verloren, dass Leben ist stressig und hinterlässt eine Menge Frust.

Ich bin dann, nachdem ich meine Frau verabschiedet habe, nochmal hoch in die Berge gefahren zum Aconcagua, dem höchsten Berg des amerikanischen Doppelkontinents. Dazu muss man über den Passo de los Liberadores wieder zurück nach Argentinien fahren. Ich habe nach all meinen Beobachtungen zwischen den Hochhäusern von Santiago de Chile nochmal ein intensives Naturerlebnis gebraucht. Mit Irene wollte ich eigentlich den gesamten Rest der Reise zusammen machen. Aber ihr Arbeitgeber, das "Zentrale Personalüberhangmanagement" des Landes Berlin hat ihr den erforderlichen Sonderurlaub verweigert. Sie sei unentbehrlich. Irgendwie ein Widerspruch zum Begriff des Überhangs. Wir haben uns mit ein paar Tränchen auf dem Flughafen verabschiedet und werden uns in Bangkok wiedersehen.



Ganz am Schluss wartet dann aber doch noch ein richtiges "Highlight" auf  mich, die Hafenstadt Valparaiso. Für mich war es die schönste Stadt auf der ganzen langen Reise. Der wohl berühmteste Dichter Chiles, Pablo Neruda, hatte sich hier ein Haus in bester Lage gekauft. Von dort aus, heute ist es ein Museum, kann man nachvollziehen, warum er in Valparaiso und nicht in Santiago wohnen wollte. Der Blick geht über eine Stadt, die sich steil wie ein Amphitheater zum Pazifik hin öffnet. Die steilen Hänge sind eng bebaut. Die Häuser sind meist mit Wellblech verkleidet. Auch sie sind bunt bemalt, aber nicht annähernd so kitschig wie in La Boca. Valparaiso ist eine arme Stadt, reich und protzig mit vielen Hochhäusern ist die Nachbarstadt Vina del Mar, mit der es eine S-Bahn verbindet. Der Gegensatz könnte kaum größer sein. In Valparaiso sind noch alte Kabelaufzüge in Betrieb, mit denen man die steilen Hänge überwindet. Sicher verfallen viele Häuser, Sanierung wird nicht gerade groß geschrieben, Chile orientiert sich an Hochhäusern. Aber Charme, das hat Valparaiso wirklich reichlich.  

Die Reise durch Chile war noch nicht zu Ende, von meinem Kreuzfahrtschiff aus bin ich noch nach Coquimbo, einer Hafenstadt am Rande der Atacama-Wüste gekommen. Auch die nächsten Stationen, die Robinson Crusoe Inseln und die Osterinsel gehören zu Chile, die letztere ist ca 3500 km von Valparaiso entfernt. Trotzdem, in meinem Kopf war die Reise durch Südamerika in Valparaiso beendet.